Heilige Börsenspekulation

Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum zeigt Werke des »vergessenen« Bildhauers Karl Röhrig

  • Siegfried Schmidtke
  • Lesedauer: 3 Min.

Er hatte das Glück, dass einige seiner Werke jahrelang unentdeckt blieben. Er hatte das Glück, dass seine Tagebücher den Nazis nicht in die Hände fielen. Er hatte das Glück, zwei Weltkriege trotz Einberufung als Soldat zu überleben. Ansonsten aber hatte der Bildhauer Karl Röhrig (1886-1972) beruflich und privat nur wenig Glück, stand eher auf der Schattenseite des Lebens und würde heute wohl als »Looser« bezeichnet werden. Für sein bisschen »Glück« musste der Künstler Karl Röhrig teuer bezahlen: Mit Einsamkeit, mit existenzieller Not, vor allem aber mit dem Vergessenwerden.

Derjenige, der Röhrig 1982 erstmals aus der Vergessenheit herausholte, war der damals junge Kunsthistoriker Gerhard Finckh vom Münchener Stadtmuseum. Das präsentierte zehn Jahre nach dem Tod des Wahl-Münchners Röhrig die erste umfassende Retrospektive zu Leben und Werk des Künstlers. Für die Anerkennung Röhrigs brachte die Münchner Ausstellung nicht den erhofften Durchbruch.

Die persönlichen Erinnerungen Finckhs an die erste große, selbst organisierte Ausstellung sind sicher ein Grund für die erneute Präsentation des Künstlers Röhrig. Bedeutsameres Motiv aber: »Karl Röhrig ist bis heute einer der unbekanntesten und zugleich einer der wichtigsten Bildhauer Deutschlands«. Finckh hofft, dass Röhrig »seinen verdienten Platz in der Kunst« erhält.

Die Wuppertaler Ausstellung beschränkt sich auf knapp 20 Holz- und Bronze-Skulpturen - und einige Plastiken aus Keramik. Karl Röhrig, geboren 1886 in Eisfeld im Süden Thüringens (damals Herzogtum Sachsen-Meiningen), war nämlich auch gelernter Porzellangestalter. Die gezeigten Werke stellen meist sogenannte »kleine Leute« dar: Zum Beispiel den »alten Mann« (1926), die »Bäuerin mit Huhn« (1928) oder »die Mutter mit Kind« (1930). Deren Körpersprache zeigt fragende, zweifelnde, niedergedrückte Menschen - wie sie in den Jahren der Weltwirtschaftskrise millionenfach zu sehen waren. Sie drücken des Künstlers Mitfühlen und Parteinahme für benachteiligte Menschen aus. Gerhard Finckh: »Man könnte sagen: Röhrigs Herz schlug für die Entrechteten, Armen Unterdrückten.« Ergänzend illustrieren, jeweils wandgroß maximiert, Zeichnungen aus den Tagebüchern des Künstlers dessen Gefühls- und Stimmungslage: eingesperrt hinter dem Gitter seines Ateliers, durch das ein Kopf mit Hitler-Schnauzbart »Gross, gross« brüllt.

Die drei eher kleinformatigen Holzskulpturen »Autofahrt«, »Sonntagsspaziergang« und der »Mann von der Winterhilfe« - alle Anfang der 1930er Jahre entstanden, seien »nicht nur komisch anzuschauen, sondern an Sarkasmus kaum zu überbieten. Röhrig gelingt es hier, der verspießerten Gesellschaft und der verlogenen Moral seiner Zeit einen Spiegel vorzuhalten.« Diese kleine Skulptur ist als einzige geschützt in einer Vitrine untergebracht. Sie sei einzigartig in Deutschland, ja, ein Kunstwerk von Weltruf.

Die Skulptur zeigt den »Bonzen«, der sich mit einem kleinen Obolus für das Winterhilfswerk der Nazis einen Freibrief für seine Börsenspekulationen erkauft: einen dickbäuchigen Mann, linke Hand auf dem Rücken, offener Mantel, Zylinder, Gehstock in der Rechten, mit Zigarre im Mundwinkel - offenbar ein reicher Mann. In der linken Manteltasche steckt eine zusammengefaltete Zeitung - mit erkennbarem Börsenteil. Am Revers prangt ein Abzeichen des Winterhilfswerks: ein Hakenkreuz mit lodernder roter Flamme. Das gleiche Signet, nur etwas größer, steckt im Zylinder, und ähnelt so einem Heiligenschein. Gerhard Finckh: »Diese kompromisslose Anprangerung der herrschenden Zustände in der Personifizierung des wohlhabenden Bürgers als Parteigänger der Nazis hebt diese Figur heraus aus der großen Masse der Belanglosigkeiten und dem, was das ›Dritte Reich‹ von den Künstlern verlangte.« Hätte Röhrig es gewagt, diese Werke öffentlich zu präsentieren, er wäre wohl im Konzentrationslager gelandet. Er führte von 1918 bis 1942 Tagebuch, quasi als innere Emigration. Jedes neue Jahr beginnt mit einer Zeichnung. Wären die Tagebücher in die Hände der Nazis gelangt, wäre das Röhrigs sicherer Tod gewesen.

RÖHRIG, bis 17.6. im Von der Heydt-Museum, Wuppertal-Elberfeld. Katalog und DVD.

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