Reformer zum Schafott
Die Königin und der Leibarzt von Nikolaj Arcel
Wäre sie nicht historisch verbürgt, man würde sie kaum glauben, die Geschichte, die der Däne Nikolaj Arcel in dem Kostümfilm »Die Königin und der Leibarzt« ausbreitet. Ein junger König, der gestört ist, infantil, regierungsunfähig, bekommt aus dynastischen Gründen eine noch etwas jüngere Königin zur Seite gestellt. Sie kommt aus einem aufgeklärteren Land, als es Dänemark zu seinen Zeiten war, die von der Ehe mit dem unbekannten Gatten herrschaftliche Pflichten erwartet und höfischen Glanz. Stattdessen trifft sie auf einen Ehemann, der kichernd seine Jagdhunde kost und sich lieber mit großbusigen Bezahlfräuleins vergnügt als mit seiner wohlerzogenen, belesenen, musisch begabten Braut.
Ihre Bücher schickt man zurück nach England, wo die Prinzessin herkam, bevor sie Königin wurde, denn Diderot und Rousseau stehen in Kopenhagen auf dem Index. Ihren dynastischen Verpflichtungen kommt sie nach und präsentiert einen Erben, dann geht der König auf Reisen, und die Königin richtet sich ein in ihrer Einsamkeit. Bis ein Jahr später ein neuer Arzt am Hof auftaucht, den der König in Altona auflas (das damals dänisch war) und als Leibarzt mit auf Reisen nahm. Der hat Diderot und Voltaire und all die verbotenen Schriften in seiner Handbibliothek stehen, verfasst selbst anonym publizierte, aufklärerische Pamphlete - aber seine Autorschaft ist ein recht offenes Geheimnis -, und ist auch medizinisch ein echter Neuerer.
Das zweite Kind der Königin wird dann schon vom Leibarzt stammen, und weil der nicht nur mit der Königin, sondern auch mit dem König gut kann, erlebt Dänemark von 1769 an drei Jahre lang eine Sturzflut liberaler Reformen, wie sie bis zur Französischen Revolution zwanzig Jahre später einmalig blieb auf dem Kontinent. Im April 1772, fast auf den Tag genau vor 240 Jahren, wurde Johann Friedrich Struensee, der deutsche Leibarzt des Dänenkönigs Christian VII., hinter dessen Rücken hingerichtet. Königin Caroline Mathilde saß da schon, zwangsgeschieden, in Celle im Exil.
Arcel erzählt diese königliche Affäre mit bürgerlichem Antrieb zugleich als einen Höhenflug von Idealismus und als abschreckendes Beispiel menschlicher Hybris, die Struensee am Ende seinen Kopf kostete, weil er zu viel verbessern wollte und zu schnell. Debütant Mikkel Boe Følsgaard verdiente sich mit seiner Darstellung des mal von guten, mal von intriganten Kräften ferngesteuerten, dauerhaft überforderten Königs einen Berlinale-Bären, und Alicia Vikander (die uns demnächst als Anna Karenina wiederbegegnen wird) gibt eine schöne Königin. Aber Mads Mikkelsen als energiegeladener Reformer Struensee ist der eigentliche Motor der Geschichte und des Films.
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