Erbe der Arbeit
Das Dokumentarfilm-Duo Stefan Kolbe und Chris Wright stellt vier seiner Filme vor
Stefan Kolbe und Chris Wright sind gleich alt, beide Jahrgang 1972, und haben am selben Ort studiert, an der HFF Konrad Wolf, wo Kolbe Kamera lernte und Wright Schnitt. Wright kommt aus der Gegend von Manchester, Kolbe stammt aus Halle an der Saale, und in Sachsen-Anhalt haben die beiden auch oft zusammen gedreht. Beim ersten ihrer Filmabende im Arsenal sind die chronologisch mittleren Filme aus der gemeinsamen Produktion zu sehen, beim zweiten der älteste abendfüllende Film und der neueste.
Die beiden mittleren Filme handeln von Menschen und Orten in Gräfenhainichen im Landkreis Wittenberg. Geografisch und personell gibt es Überschneidungen, aber ästhetisch sind »Technik des Glücks« (2003) und »Das Block« (2007) so verschieden wie für zwei Dokumentarfilme nur denkbar. »Technik des Glücks« ist eine Collage aus formal vielfältigem Archivmaterial begeisterter Hobby-Filmer, aus Tondokumenten vom werksinternen Telefonmitschnitt über das »Lied von der Kohle« bis zum Hörspiel mit Brigadebezug, von den Filmemachern zur Chronik einer verloren gegangenen Arbeiterkultur montiert und durch eigene Bildaufnahmen und einen liebevoll-ironischen Kommentar erklärend ergänzt.
Denn in Zschornewitz, Stadtteil von Gräfenhainichen, stand bis zu seiner Schließung drei Jahre nach der Wende ein Kraftwerk mit 16 Schloten, zeitweise das größte Kohlekraftwerk der Welt. Dort stießen Kolbe und Wright, die eigentlich einen Film über den Verlust der Arbeit drehen wollten, auf die Hinterlassenschaft von Arbeiterfilmzirkel und Zirkel schreibender Arbeiter. Ob Kraftfahrer, Schaltmeister oder Kraftwerksmechaniker, gefilmt haben sie anscheinend alle, auf Filmmaterial und mit Video, in Schwarzweiß und in Farbe, private Feiern und öffentliche Ereignisse, ihre Arbeitsstätte und Arbeitsmittel, ihre Kinder, Enkel, Kollegen und Freunde.
Sie schrieben Texte zur Verherrlichung der Arbeitsstätte, filmten gemeinsames Malochen und Urlaube im werkseigenen Ferienheim und weiter bis zum bitteren Ende, bis zur Sprengung der Schlote, mit der ihr einstiger Lebensmittelpunkt auch physisch von der Bildfläche verschwand. Heute steht die denkmalgeschützte Werkssiedlung mit ihren Vorgärtchen schick geputzt und restauriert in einem Ort, an dem es keine Arbeit mehr gibt, wo die einstigen Großbagger bloß noch Kulisse sind für theatrale Open Air-Veranstaltungen und nur die Kleingartenkolonien noch prunken mit Schriftzügen, die »Hoffnung« versprechen oder »Zukunft«.
Eine großartige Zukunft oder viel Hoffnung auf persönliche Erfüllung haben die vier Personen eher nicht, die Kolbe und Wright in »Das Block« porträtieren. Es sind Existenzen im Randstand, Menschen, die sich in der Auflösung befinden, die um ihre Identität und Persönlichkeit, um Sprache, Nationalität oder Herkunft ringen, in der Menge allein in einem abgewrackten Plattenbau mit 85 Einraumwohnungen in Gräfenhainichen. Viele der Bewohner sind Aussiedler, Russlanddeutsche, Kasachen, Tschetschenienkriegsflüchtlinge.
Sie sind arbeitslos, Ruhe- oder Vorruheständler wie Hans-Joachim Werner, einst Kraftwerker und einer der eifrigsten Hobbyfilmer aus »Technik des Glücks«, wo er Radrennprofis interviewte und Marktfrauen, die über die mangelnde Kaufkraft einer verarmenden Bevölkerung seufzten. Da ist keine höfliche Distanz, kein Abstandhalten zu den vier Personen, die die Filmemacher in ihrer Einsamkeit ohne Aussicht auf Änderung porträtieren. Die ständigen Großaufnahmen sind eine Zumutung für beide Teile, für Betrachter wie Betrachtete, und ob es eine produktive ist, darüber waren Protagonisten wie Kritiker nach der Erstaufführung geteilter Meinung. Leicht vergessen wird man den Film jedenfalls nicht.
»Kleinstheim«, das jüngste Werk der beiden Filmemacher, rückt den jugendlichen Bewohnern eines Kinderheims in der Magdeburger Börde mit ähnlicher Direktheit auf den Pelz, in fragmentarischen Aufzeichnungen, zeitlich situiert und ästhetisch zusammengehalten von Zwischenschnitten auf den Wandel der Jahreszeiten. Es sind die sieben Kinder und ihre Erzieherinnen, die unkommentiert zu Wort kommen, von der Zwölfjährigen, die mit acht Jahren ihren Vater wegen seiner Prügeleien anzeigte und aus der Familie genommen wurde, bis zum Ex-Junkie im Teenager-Alter beim misslingenden Versuch, nun ohne Drogen seinen Weg zu finden. Einmal ist plötzlich ein Messer im Spiel, von einem Bewohner auf einen anderen gerichtet, da schalten die Filmemacher das Bild weg, aber nicht den Ton.
20., 21.4., jeweils 19.30 und 21.15 Uhr, in Anwesenheit der Regisseure, Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, Kartentel. 26 95 51 00, Filminfo www.arsenal-berlin.de
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