Kunsthaus 2.0

Heute eröffnet ein Tacheles-Gründer ein neues alternatives Kreativzentrum

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Räumungen, Klagen, Proteste: Während der Streit um das Tacheles in die x-te Runde geht, hat Kemal Cantürk draußen in Treptow längst Tatsachen geschaffen. Weit entfernt vom Touristenrummel in Mitte baut er mit einigen Gleichgesinnten einen leer stehenden Supermarkt zum neuen Kulturhaus Treptopolis um - eine Art Mini-Tacheles mit Bar, Kino, Ateliers. An diesem Samstag ist Eröffnung.

Eine mutige Idee, mit über 60 Jahren noch mal neu anzufangen. Doch Kemal Cantürk aus Kreuzberg, der ursprünglich Tischler und Schlosser gelernt hat, hatte die Nase voll vom Gezänk in Mitte. Als Tacheles-Mitglied der ersten Stunde war er dabei, als Künstler 1990 die Ruine in der Oranienburger Straße besetzten und mit eigenen Händen ausbauten. Auch verdiente er über Jahre gutes Geld mit den Touristen, die in seine Erdgeschossgalerie kamen und seine Metallkunst kauften. Doch Cantürk erkannte, dass die Zeit abgelaufen war: »Das Tacheles ist doch seit Jahren eine reine Touri-Attraktion.« Darum nahm er als einer von wenigen Künstlern das Angebot der Anwälte an und ließ sich gegen eine Abfindung von 100 000 Euro im Namen eines unbekannten Investors herauskaufen.

Für viele der ehemaligen Mitbesetzer ist das Verrat. Kemal Cantürk jedoch hatte bereits ein neues Ziel - er will einen kulturellen und sozialen Ort schaffen, wo man in Ruhe Kunst machen kann und der gleichzeitig ein Treffpunkt für die Anwohner ist, mit Konzerten, Lesungen, Kino, mit Skatturnieren und einem Raum mit Kickertisch und Billard für die Jungen. Als Mitstreiter aus dem Tacheles hat Cantürk den Metallkünstler Steve Studinski und Architekt Hank Moell an seiner Seite. Und auch Bernhard Fiederling, Vorsitzender des Bürgervereins Baumschulenweg, packt an, wo er kann. Jahrelang hatte sich Fiederling über den »Schandfleck« in der ruhigen Wohnstraße geärgert - bis Cantürk kam. Der hatte den Tipp über den Vorbesitzer bekommen.

Der einstige HO-, dann Kaisers-Supermarkt war jedoch nach jahrelangem Leerstand völlig heruntergekommen: »Es gab kein Wasser, keinen Strom, die Fenster waren eingeschlagen, die Leitungen geklaut - eine Ruine wie damals das Tacheles«, erzählt Cantürk mit leisem Lächeln. Seit acht Monaten wird renoviert, 70 000 Euro, erzählt Cantürk, habe er bereits investiert.

Dafür macht das Treptopolis vor allem im Innenbereich richtig was her: Wo früher die Fleischtheke war, ist nun die Bar, kühn gestaltet aus Holz und Metall. Im großen ehemaligen Verkaufsraum laden die gemütlichen Sessel aus dem Tacheles-Kino ein. Hinten ist eine kleine Bühne, auf der bereits Theaterstücke gezeigt wurden, es gibt ein Klavier und eine gute Soundanlage für Discoabende - und damit die Nachbarn nicht meckern, ist die Fensterfront aus Panzerglas. 200 Leute passen in den Saal, für Lesungen oder Kinoabende werden noch Falltüren für einen »Raum im Raum« eingebaut: alles gut durchdacht. Und überall hängen Bilder und steht Metallkunst, wenn auch nicht alles so auffällt wie der riesige Schrottgorilla von Steve Studinski, der von einem Podest aus nachdenklich auf sein neues Umfeld blickt.

Hinten faucht und spuckt es, hier sind die Ateliers von Kemal Cantürk und Steve Studinski, die nach wie vor mit Schweißgeräten aus Altmetall und Schrott wunderbare Skulpturen herstellen. Studinski werkelt gerade an einem großen Metalldrachen, der Feuer spucken kann und beim Köpenicker Festumzug am 16. Juni Hauptattraktion des Bürgerverein-Wagens werden soll. »Genial!« schwärmt Fiederling, der sein Glück kaum fassen kann, so kreative und offene Nachbarn in seinem Kiez zu haben. Und die Treptopolis-Macher wiederum profitieren von den guten Kontakten des Bürgervereins-Vorsitzenden, der die Abnahmen und Konzessionen bei den Ämtern durchbekam wie nichts.

Trotzdem ist noch viel zu tun, immerhin umfasst der alte Supermarkt mit Gelände rund 1200 Quadratmeter. Auf dem Dach eines Schuppens plant Cantürk eine kleine Freiluft-Bühne, unten einen Skulpturengarten. Der Hof soll im Sommer als Café dienen, die Verschönerung per Blumen hat eine 72-jährige Nachbarin übernommen, die früher im HO als Verkäuferin arbeitete. »Wehe, da redet ihr jemand rein«, lacht Cantürk, der sich sichtlich über diese praktische Kiezhilfe freut und über das Gefühl, etwas für die Leute zu tun, die hier wohnen. Dass mit der Laufkundschaft auch die guten Einnahmen durch Touristen wegfallen, stört Kemal Cantürk überhaupt nicht. »Mir reicht’s, wenn ich von meiner Kunst leben kann.«

Kulturhaus Treptopolis, Rinkartstr. 18, Treptow; Eröffnung 28.4. ab 12 Uhr mit Live-Musik, DJ, Kabarett, Künstlern und Buffet

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