Wenn eine Clique »loslegt«

Die Satanskinder von Sondershausen und die rechte Szene

Ein brutaler Mord »mit satanischem Hintergrund« an einem 33-jährigen im nordrhein-westfälischen Witten und die Festnahme der beiden Mörder bei Jena hat sie wieder ins Gespräch gebracht: Die »Satanskinder« von Sondershausen. 1993/94 hatten drei jungen »Satanisten« der thüringischen Kleinstadt Schlagzeilen vor allem der Boulevardpresse geliefert, nachdem sie am 29. April 1993 den 17-jährigen Sandro Beyer ermordet hatten. Die Verbindung zu dem damaligen Mord war schnell hergestellt. Das Mörderpaar wurde in Sondershausen gesehen und auf ihrer »Todesliste« habe auch der Name der Mutter von Sandro Beyer gestanden, von jenem Jungen, der 1993 ermordet worden war. Sein Grab gelte in »okkulten Kreisen als Kultstätte«...
Bei den heutigen robusten Werbefeldzügen dürfte es nicht Wunder nehmen, sollte der Christoph Links Verlag die aktuellen Schlagzeilen zur Anpreisung des eben bei ihm erschienenen Buches über die Geschichte und Hintergründe des »Satansmordes« von Sondershausen nutzen. Übel nehmen könnte man es nicht, zumal die Geschichte nicht nur spannend erzählt ist. Sie zeichnet sich vor allem aus durch umfassend recherchierte Einblicke in die deutsche »Satanistenszene« und in das zum Teil erfolgreiche Bemühen rechter Gruppierungen, auf diese Szene Einfluss zu nehmen. Liane von Billerbeck und Frank Nordhausen hatten bereits 1994, nachdem die drei 17-jährigen »Satanskinder« im Februar 1994 zu sechs bzw. acht Jahren Jugendstrafe verurteilt worden waren, ihr Buch »Satanskinder. Der Mordfall Sandro B.« vorgelegt. Nun ist eine aktualisierte und stark erweiterte Fassung erschienen, deren wichtigster Aspekt im modifizierten Titel deutlich wird: »Satanskinder: Der Mordfall von Sondershausen und die rechte Szene«.
Noch einmal wird die beklemmende Atmosphäre der so genannten Wendejahre in einer Kleinstadt wach, in der, wie im ganzen Osten Deutschlands, eine Welt förmlich zusammenbricht. »Der gesellschaftliche Umsturz verstärkt die Turbulenzen der Pubertät. In kurzer Zeit müssen die Jugendlichen zweimal die Schule wechseln, weil das gesamte Schulsystem umgebaut wird. Von heute auf morgen gilt die große Freiheit, ganz ohne Handbuch. Alles scheint nun erlaubt zu sein, verbindliche Werte gibt es nicht mehr. Und die Jugendlichen legen los.« Wie sie »loslegen« in ihrer Clique, sich eine »neue Welt« suchen und bauen, sich isolieren, die kleine Stadt und die Mitbürger schocken, schließlich einem der ihren, der droht, abtrünnig zu werden und über die nächtlichen »Satanstaufen« und »Schwarzen Messen« zu plaudern, einen »Denkzettel« verpassen wollen, auf dass er »keine Geschichten« mehr erzählt, und ihn dabei umbringen. In der Sprache des Gerichtsurteils: »Die Angeklagten sind des gemeinschaftlichen Mordes in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung sowie der gemeinschaftlichen Bedrohung in Tateinheit mit gemeinschaftlich versuchter Nötigung schuldig.« Kein Ritualmord, aber, so der Richter im Urteil, eine Tat, die ohne diesen Hintergrund der »ständigen Beschäftigung mit satanistischem Gedankengut und mit Tötungsdarstellungen in Filmen nicht möglich gewesen wäre«.
Die Autoren zeichnen den Weg dieser jungen Leute nach, für die »früher Verbotenes« nun frei erhältlich ist: »die Bücher von Stephen King, die satanischen Schallplatten von "Venom", "Mayhem" oder "Sodom". Vor allem aber Horrorvideos. Eine Springflut von Gewalt feiernden Filmen erreicht Sondershausen, nicht nur diese Clique, sie aber besonders.« Den tobenden Schlagzeilen jener Jahre über den »Satanskult« in der Stadt setzen die Autoren nüchtern ihre Untersuchungen, auch die Darstellung des Niedergangs einer Stadt entgegen, in der »die Industrie einen leisen Tod« starb. Humusboden für obskure Heilslehren, zu denen, was nicht nur für diesen Teil der Jugendkultur zutrifft, die Musik die Einstiegsdroge ist.
Die drei Jugendlichen benötigten, so der Richter, vor allem »intensive Hilfestellung zur Aufarbeitung der Tat und deren Folgen mittels Betreuung durch geschultes Personal«. Wie diese »Betreuung« in der Realität des Gefängnisalltages ausgesehen hat, legen Billerbeck/Nordhausen in ihrer aktualisierten Buchfassung umfassend dar. Sebastian S. kann im Gefängnis eine Gruppe gründen, die sich unbeanstandet »Panzerfaust« nennen darf. Andreas versendet antisemitische Sudeleien. Auf härtesten Rechtskurs geht Hendrik M., der vom Gefängnis aus - trotz Briefzensur - eine umfangreiche Korrespondenz mit Gesinnungsfreunden pflegen kann und die Strafanstalt »offenbar als im Geiste gefestigter Rechter« verlässt, und den Mord an Sandro B. mittlerweile als Beendigung des Lebens »eines lebensunwerten Geschöpfes« erklärt. Hendrik M. ist Hendrik Möbus, der nach seiner Haftentlassung voll in die rechte Szene einsteigt. Unmittelbar vor der Vollstreckung einer Gefängnisstrafe kann er im November 1999 fliehen. Im August 2000 wird er in den USA festgenommen und beantragt politisches Asyl, »weil er in Deutschland wegen seiner Gesinnung verfolgt werde - für Äußerungen, die in den Vereinigten Staaten nicht verboten seien«.

Liane von Billerbeck/Frank Nordhausen: Satanskinder. Der Mordfall von Sondershausen und die rechte Szene. Christoph Li...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.