Provinziell, aber nicht rückständig

Ländliche Idylle gibt künstlerischer Kreativität einen Raum - ohne Förderung bliebe er ungenutzt

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 6 Min.
Provinziell, aber nicht rückständig

Ein Affront, wenn nicht gar eine bösartige Beleidigung sind die Zeilen in Rainald Grebes Brandenburg-Lied wohl für jeden, der aus jener Region stammt. »Es gibt Länder, wo richtig was los ist. Und es gibt: Brandenburg ... In Berlin kann man so viel erleben, in Brandenburg soll es wieder Wölfe geben«, singt der Kabarettist und Schauspieler, sich über die Mark belustigend. Damit packt er aber auch Vorurteile über die Provinz im allgemeinen auf den Tisch, führt sie und einen gewissen Metropolen-Fetisch jenen vor Augen, die sie pflegen und verbreiten.

Von der Provinz erwarten nur wenige, dass sie Kulturelles zu bieten hat, was selbst den Großstädter locken könnte. Doch Provinz ist nicht gleich Provinz. Dies wusste Gerd-Rüdiger Hoffmann, LINKEN-Abgeordneter im brandenburgischen Landtag, schon im Mai letzten Jahres bei der ersten Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Titel »Provinz vs. Provinzialität« auszuräumen: »Provinz muss nicht provinziell sein. Provinz kann einen geografischen Raum meinen und selbst ein wertender Begriff sein, der befreit ist von negativer Konnotation.«

Regionale Identitäten nutzen und stärken

Der Kulturpolitiker ist überzeugt, dass sich gerade im ländlichen Raum Neues und Kreatives entwickeln könne, »weil hier manches langsamer und dafür gründlicher verläuft« und nicht nur den Trends hinterhergehechelt wird, wie es im Kunst- und Kulturbetrieb von Metropolen oft geschieht.

Ideen ersetzen dabei nicht selten fehlendes Geld. Auf Dörfern wird zudem die unmittelbar ansässige Bevölkerung einbezogen. In einer Gemeinschaft, die zunächst nur eint, dass sie an einem bestimmten Ort lebt, wird in einem gemeinsamen Projekt ihre Identität mit eben jenem Ort und dem kulturellen Schaffen selbst gestärkt.

In der Provinz kann auch auf regionale Besonderheiten eingegangen werden, wie etwa ein Besuch in Bautzen zeigt. Das dortige Volkstheater mit zwei festen Spielstätten ist bikulturell und spielt in drei Sprachen: deutsch, ober- und niedersorbisch. Die Stadt Bautzen ist beispielgebend für die Einbeziehung von Minderheiten und die Stärkung ihrer Selbstorganisation mittels Kultur. Die Unabhängigkeit drückt sich nicht zuletzt in den Inhalten aus. Das Deutsch-Sorbische Volkstheater führt derzeit das alles andere als Mainstream verdächtige Stück »Geschlossene Gesellschaft« von Jean Paul Sartre auf.

Trotz Abwanderung vom Land und Urbanisierung sind die ländlichen Regionen weiterhin bedeutsam. Die Landwirtschaft ernährt die Städter. Auch die Energie der Zukunft aus Windkraftanlagen und Solarparks kommt vom Lande. Die Errichtung von Biogasanlagen inmitten der Großstadt würde wohl wie ein Moscheebau von Bürgerinitiativen angegangen werden. Die Regionen sind es also, die die Städte mit Überlebenswichtigem versorgen.

Im Austausch dazu können Menschen aus Metropolen etwas vom urbanen Leben zurückfließen lassen. So geschehen in Klein Leppin in der Prignitz. Unter dem Titel »Dorf macht Oper« wurde aus einem leerstehenden Schweinestall im Ortszentrum ein Opernhaus. Seit inzwischen sieben Jahren arbeiten professionelle Musiker, die einst aus Berlin aufs Land gezogen sind, und Anwohner von Klein Leppin sowie umliegender Dörfer jedes Jahr ein Stück aus.

Doch »Dorf macht Oper« ist ein Einzelfall. Viele Regionen Deutschlands, gerade in den neuen Bundesländern, sind zwar touristisch erschlossen, kulturell aber abgehängt. Nicht von den Großstädtern, sondern vor allem von den Finanztöpfen. Aufgrund des Verfassungsranges, den die Kulturförderung in mancher Landesverfassung (etwa Brandenburg) besitzt, und den Anstrengungen, die in den vergangenen Jahren mit Einführung von Kulturraumgesetzen (Sachsen) gemacht wurden, gilt Kulturförderung auf Landesebene als gesichert.

Förderung durch kulturelle Bildung

Dennoch reicht das Geld nie, um alle Einrichtungen zu erhalten und gewünschte Projekte zu verwirklichen - weder in der Stadt noch auf dem Land. Die Kommunen leiden unter klammen Kassen, die Regierenden von Ländern und Bund geben einhellig selbiges zu Protokoll. Veröffentlichungen wie »Der Kulturinfarkt«, dessen Autoren die Schließung jeder zweiten Kultureinrichtung fordern, heizen die Diskussion zusätzlich an. Dabei haben kulturelle Einrichtungen nicht nur die Aufgabe für Unterhaltung zu sorgen, sondern auch einen Bildungsauftrag zu erfüllen - sowohl für Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene.

Ausgerechnet der »PISA-Schock« hat eine neue Diskussion über das Verständnis von Bildung und Leistung, die in solchen Studien gemessen werden, angeschoben. In einer Zeit, in der händeringend nach Lehrern für naturwissenschaftliche Schulfächer gesucht wird, konnte das Konzept der kulturellen Bildung neue Fürsprecher finden.

Es verbindet Bildung als Aneignung von Wissen und Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit mit dem Medium der Künste. Über die ästhetische Erfahrung beim Musizieren, Singen oder Malen werden Kinder und Jugendliche zur erfolgreichen Teilhabe an der Gesellschaft befähigt. Davon sind nicht nur die Wissenschaftler der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel, sondern auch zunehmend die Kulturverwaltungen überzeugt. Dies bedeutet aber auch, dass Kunst erhalten werden muss.

Eine kulturelle Grundversorgung, die Stadttheater, Chöre oder auch Kinos leisten, ist nicht zuletzt essenziell, um die Provinz für Menschen interessant zu machen, denen die Lebensqualität des Ländlichen wichtiger ist als das höhere Gehalt in der Stadt. Die sogenannte kreative Klasse läuft nicht mehr allein den Jobs hinterher, sondern sucht ein Umfeld, in dem sie sich wohlfühlt, glaubt etwa Hinrich Enderlein, ehemaliger Kulturminister Brandenburgs. Das müsste nun auch die Wirtschaft verstehen und sich in die Kulturförderung einbringen. Das Sponsoring weniger Großveranstaltungen reicht nicht aus.

Doch Geld allein ist nicht entscheidend, das kreative Potenzial muss genutzt werden. Dass dieses auch in der Provinz zu finden ist, beweisen zahlreiche Projekte.


Bereits zum zweiten Mal trafen sich Kulturpolitiker, Pädagogen, Wissenschaftler, Verwaltungsmitarbeiter und Künstler, um über Kulturförderung im ländlichen Raum zu diskutieren. Zu der Konferenz »Provinz vs. Provinzialität« lud das Kulturforum der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie ihr Regionalbüro Brandenburg und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen vor einer Woche nach Bautzen, in die Kulturhauptstadt der Sorben.

Schwerpunkt des Treffens war die Frage, welche Aufgaben kulturelle Bildung hat und vor welchen besonderen Herausforderungen sie in der Region steht.

Wie schon bei der ersten Tagung im Mai 2011 im Theater am Rand im Oderbruch sollte auch Bautzen als Veranstaltungsort selbst Gegenstand des Ereignisses sein. Das Deutsch-Sorbische Volkstheater bot nicht nur Platz für Vorträge und Diskussionen, sondern zeigte auch Ausschnitte seines Repertoires. Es trat den Beweis an, dass trotz demografischen Wandels und zwiespältiger Diskussionen zwischen Straßenbau und Museum kreative Kultursubstanz bestehen kann.

Die dritte Kulturkonferenz 2013 soll in Schwedt stattfinden.

Informationen zum Programm:
www.gerd-ruediger-hoffmann.de

»Dorf macht Oper«
Noch ist der Vorhang geschlossen - die nächste Oper im Schweinestall ist vom 22. bis 24. Juni in Klein Leppin zu sehen. »Der Wildschütz« wird wie gewohnt nur an diesem einen Wochenende aufgeführt.

www.dorf-macht-oper.de

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