Homophobie wird bagatellisiert
Maneo kümmert sich seit 22 Jahren um homosexuelle Gewaltopfer / Aufruf zum »Kiss-In« am 17. Mai
»Scheiß Lesbe« oder »schwule Sau«. Diese oder ähnliche Beleidigungen gehören zu den häufigsten Delikten gegenüber homosexuellen Menschen, gefolgt von Körperverletzung und Raub. »Insgesamt haben wir in Berlin 201 Fälle mit homophoben Hintergrund bearbeitet«, sagte Bastian Finke, Leiter von »Maneo - Das schwule Anti-Gewalt-Projekt« in Berlin bei der gestrigen Vorstellung des Jahresberichts 2011. Diese Zahl sei jedoch nicht aussagekräftig, denn viele Vorfälle werden häufig nicht angezeigt.
Drei homosexuelle Männer kamen 2011 nach Gewalttaten ums Leben. Eine Tendenz, ob Gewalt gegenüber Homosexuellen in Berlin ab- oder zugenommen hat, könne man jedoch nicht feststellen. Die »Dunkelziffer« bleibe aber nach wie vor sehr hoch, so Finke. »Es passiert mehr, als bei uns ankommt«, bestätigte Maria Tischbier von der Präventionsstelle der Polizei. Unter den 123 Fällen, in denen Strafanzeige erstattet wurde, waren beispielsweise nur zehn gegen Lesben gerichtet. »Das ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt der Realität«, betonte Tischbier. Deshalb zähle neben der Opferhilfeberatung und der Erfassung von Gewalttaten die Gewaltprävention zu den Kernaufgaben von Maneo. »Homophobe Gewalt wird noch immer bagatellisiert«, weiß Bastian Finke. »Wenn wir während unserer verschiedenen Kampagnen mit Homosexuellen sprechen, erfahren wir oft von Beleidigungen oder ähnlichen negativen Erfahrungen, die weder bei der Polizei noch bei uns eingehen und statistisch nicht erfasst werden können«, so Finke.
Für mehr gesellschaftliche Akzeptanz und Solidarität zu werben, sei daher wichtig. Schließlich finde die Mehrzahl der Delikte nach wie vor in der Öffentlichkeit statt - auf der Straße oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Um das Bewusstsein für »Hassdelikte« auch bei der Polizei zu schärfen, gibt es seit 1999 regelmäßige Schulungen. In diesem Jahr sollen rund 1200 Polizisten für die Thematik sensibilisiert werden. 2011 waren es nur 218. »Wir hören von Fällen, bei denen die Polizei versucht hat Anzeigen abzuwimmeln, mit der Begründung die Täter seien über alle Berge«, kritisierte Finke. Dabei diene der Gang zur Wache oder vors Gericht nicht nur der Strafverfolgung. Wenn man sich zur Wehr setze und von seinem Recht gebrauch mache, führe das zu mehr Selbstvertrauen.
Maneo ist das älteste schwule Anti-Gewalt-Projekt Deutschlands. Seit 22 Jahren kümmern sich die vorwiegend ehrenamtlichen Mitarbeiter um Hilfesuchende. Dafür stellt der Senat jährlich 90 000 Euro zur Verfügung. Weitere 10 000 Euro kommen durch Spenden zusammen. »Mittlerweile sind wir zwei Hauptamtliche. Das ist viel zu wenig. Wir sind total überbelastet.« Immerhin fanden im letzten Jahr 890 Beratungsgespräche statt. Angesichts der rund 350 000 Homosexuellen in Berlin müsse das Angebot wachsen. Hier seien Politik und Verwaltung gefragt, meinte Finke.
Wer ein Zeichen gegen Intoleranz setzen möchte, kann dies am 17. Mai tun: Am Internationalen Tag gegen Homophobie ruft Maneo zum öffentlichen »Kiss-In« an der Warschauer Brücke und am Mehringdamm auf.
Maneo, Bülowstraße 106, www.maneo.de, Beratungstelefon: 030/216 33 36, 17-19 Uhr
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