Extremisten sind nur die Einzelnen
Kritik an Bewerberprüfung im Thüringer öffentlichen Dienst
Aus dem Erfurter Justizministerium bekam Ursula Mende Entwarnung. Die Rechtsanwältin ist Bundesgeschäftsführerin der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ), die unter anderem als Mitherausgeber des alljährlichen Grundrechtereports für die Bundesrepublik bekannt ist.
In Thüringen gilt der Verein indes offenbar als rotes Tuch. Er wird geführt auf einer Liste »extremistischer« Organisationen, die bei der Prüfung der Bewerber für den öffentlichen Dienst konsultiert wird (»nd« berichtete).
Alles halb so wild, glaubt man Justizstaatssekretär Dietmar Herz (SPD). Ein Runderlass von 1992, der die Eignungsprüfung vorsieht, sei zwar mitsamt der Liste auf der Internetseite des Ministeriums abrufbar. Mit Blick auf die VDJ habe er aber »bislang keine praktische Bedeutung erlangt«, schreibt Herz. Kein Bewerber, fügt er an, sei wegen einer etwaigen VDJ-Mitgliedschaft abgelehnt worden.
Was nicht ist, kann jedoch noch werden. Das geht aus einem Brief hervor, den Mende fast zeitgleich aus dem CDU-geführten Innenministerium bekam. Dort heißt es, die VDJ sei »bei Inkrafttreten« des Erlasses wegen DKP-Nähe vom Verfassungsschutz beobachtet und also in der Liste aufgeführt worden. Inzwischen gelte die VDJ zwar in Thüringen nicht mehr als linksextremistisch. Nachgefragt werde bei Bewerbungen aber dennoch - und zwar mit der Begründung, dass »eine frühere Mitgliedschaft mit Hinblick auf frühere Aktivitäten der VDJ weiterhin nicht ohne Relevanz ist«.
Die Auskunft, rügt Mende, ist zum einen sachlich falsch: Wie die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Thüringer Linksfraktion klarstellt, basiert die Liste auf Einschätzungen des Verfassungsschutzes aus den Jahren 1989 / 90; als der Erlass 1992 in Kraft trat, sei die VDJ »kein Gegenstand von Beobachtungen« mehr gewesen, sagt Mende.
Zudem aber vollziehe das Ministerium eine »bemerkenswerte gedankliche Spreizung«: Die Organisation sei nicht verdächtig, ihre Mitglieder aber würden unter Extremismusverdacht gestellt. Die Anwältin kritisiert, damit finde eine unzulässige »Bemakelung« des seit 40 Jahren bestehenden Vereins statt. Dessen Bundesvorstand werde über das weitere Verfahren beraten; rechtliche Schritte gegen die Thüringer Praxis will Mende weiterhin nicht ausschließen.
Die wird auch von anderer Seite scharf kritisiert. Martina Renner, Innenpolitikerin und Fraktionsvize der LINKEN im Landtag, wirft der Thüringer Landesregierung vor, sie habe »die Denkkategorien des Kalten Krieges noch nicht abgelegt«. Das Beharren auf »politischer Treuepflicht« stehe in »krassem Widerspruch« zur aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Bei der Bewerberprüfung, merkt Renner an, schimmere »die eigentlich überwunden geglaubte Berufsverbotspraxis weiterhin durch«.
An dieser Einschätzung ändert auch die Tatsache nichts, dass die Liste womöglich ein Auslaufmodell ist. Die Überarbeitung des Runderlasses sei im Zuge einer Dienstrechtsreform geplant und werde derzeit vorbereitet, erklärt das Innenministerium in der Antwort auf die Kleine Anfrage. Geprüft werde dabei auch, ob »zukünftig - auch im Interesse der Aktualität - generell von einem Verzeichnis (betreffender Organisationen - d.R). abgesehen« werden solle.
Ein Abschied von der Praxis, Bewerber für den Landesdienst auf eventuelle »extremistische« Einstellungen zu überprüfen, wird aber offenbar nicht erwogen. Nur sollen künftig dafür die Verfassungsschutzberichte konsultiert werden.
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