Pfarrer und Schamane

Ausgerechnet in Oberbayern entsteht für die katholische Kirche wachsende Konkurrenz - nur die »Bodenständigen« bleiben

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 5 Min.
Die bayerische Provinz ist weltläufig geworden: Die katholische Kirche ist bei weitem nicht mehr die einzige Institution, die spirituelle Angebote macht.
...was der Schamane Bajun in Oberbrunn treibt.
...was der Schamane Bajun in Oberbrunn treibt.

Die Marienstatue am Eingang der St. Nikolauskirche wird von einer kleinen Lampe erhellt, ihr zu Füßen brennen einige Kerzen. »Im Glauben wurzeln«, ist daneben in einem ausliegenden Faltblatt zu lesen. Hier zelebriert Pfarrer Martin Klein jeden Sonntag die Heilige Messe, auch für die Gläubigen aus dem Ortsteil Oberbrunn. Doch dort gibt es längst auch andere spirituelle Angebote. »Das Chiemgau, das ist eine gute Gegend für anders leben«, sagt Stefan Nathan Lange, der sich auch »Bajun« nennt. Er wohnt seit einigen Jahren in dem 130-Seelen-Ort und ist Schamane, einer der mittlerweile zahlreichen Seher und Heiler, die sich hier in der Region angesiedelt haben.

»Nein, Kühe gibt es bei uns nimmer«, sagt die Eder Resi aus Oberbrunn. 1954 hatte ihre Familie hier eine Landwirtschaft übernommen. Sie gehört zu der eingesessenen Bevölkerung und ist in der Pfarrei aktiv. Und sie meint: »Ja, da hat sich so viel verändert.« Nach und nach wurden die kleinen Landwirtschaften aufgegeben, die Bauern bauten sich auf ihrem Grund neue Häuser, die alten Höfe wurden von Ortsfremden übernommen und renoviert.

Die Sekte im Schloss

Oberbrunn ist ein Ortsteil von Pittenhart, das liegt vier Kilometer von Obing entfernt. Die Landschaft hier nördlich des Chiemsees ist sanft gewellt, in der Ferne die imposante Kulisse der Alpen. Schön ist es hier. Und das ist vielleicht ein Grund, warum es in Oberbrunn keine Kühe, aber mehrere Heilpraktikerinnen geben soll und in einem Anwesen Seminare für Sufi-Tänze abgehalten werden. Und da ist noch das örtliche Schloss, in dem sich in den 1980er Jahren eine indische Sekte einquartiert hatte. Und natürlich der Schamane Nathan Lange, der vor sechs Jahren das »Gasthaus zur Post« kaufte und es zu einem Biocafé umwandelte.

»Die Bodenständigen kennt man«, sagt Pfarrer Klein, »die anderen nicht.« Seit 2002 betreut der katholische Geistliche die 5700 »Schäfchen« seiner Gemeinde, er selbst stammt aus Ruhpolding. Den 47-Jährigen wundert es nicht, dass gerade der Chiemgau viele Esoteriker anzieht. »Das ist hier eine wunderschöne Landschaft, ein oberbayerisches Idyll«, versucht der Pfarrer eine Erklärung. Innerlich seien manche Menschen zerrissen und auf der Suche nach einer heilen Welt, diese Sehnsucht treffe hier auf die Schönheit der Landschaft und der Berge.

Keine Kunden im »Biocafé«

Patchwork-Religionen nennt der Pfarrer die esoterischen Angebote, an denen sich Menschen festhielten, weil ihnen die eigenen Wurzeln, der Halt fehle. »Wer hier aufgewachsen ist, der weiß, dass die Kirche im Halt gibt, in welcher Situation auch immer.« Freilich, die St. Nikolauskirche, sie ist nicht immer voll bei seiner Predigt.

Zurück in Oberbrunn, Schamanenalltag im ehemaligen »Gasthof zur Post«. Lange, der fast vollständig erblindet ist, legt tastend Holzscheite in einen Ofen. Ein großer, hagerer Mann mit etwas zerzausten Haaren. Derweil werkeln draußen zwei Handwerker herum. Lange sagt zwar, dass er mittlerweile seinen Körper auf Lichtnahrung umgestellt hätte und das Essen nicht unbedingt mehr notwendig sei. Aber irgendwie geht es im Schamanenhaushalt doch sehr materiell zu, irgendeine Ecke des Anwesens ist immer im Umbau. Im ersten Stock hat Lange seine »Praxis« eingerichtet, Felle und Decken am Boden, auch eine Trommel, Tücher an der Decke - Lange bietet »schamanische Therapie« an.

Der 52-Jährige stammt aus dem Rheinland, kam aber schon vor vielen Jahren nach Bayern. Damals studierte er Informatik und wandte sich später dem Gegenpol einer rationalistisch-technischen Welt zu, dem Schamanismus. Erste Erfahrungen damit machte er bei verschiedenen Workshops, wurde schließlich Schüler bei einem Schamanismus-Lehrer. Seit mehr als zehn Jahren besucht er regelmäßig eine Schwitzhütte und folgt dabei dem Ritual der Lakota- oder Sioux-Indianer. Langes »Biocafé« ist allerdings inzwischen wieder geschlossen. »Keine Nachfrage«, sagt er. Dafür werden jetzt Veranstaltungen mit esoterischen Themen wie Gespräche mit »Erzengeln« angeboten.

Es sind nur ein paar Schritte vom ehemaligen »Biocafé« zum Schloss von Oberbrunn. Das große Gebäude war jahrelang von der Arbeiterwohlfahrt als Erholungsheim genutzt worden, bis es 1985 die Jünger des indischen Gurus Thakar Singh kauften. Bis 2002 betrieben die rund 50 Jünger von hier aus Gartenbau im benachbarten Niederbrunn, der Guru starb 2005 im Alter von 75 Jahren.

Inzwischen hat das Schloss einen neuen Besitzer. »Die Intention des Projektes besteht darin zu forschen, wie viel zeitliche Verbindlichkeit es braucht für eine Lebensgemeinschaft, damit sich immer weiter eine positive Energie und ein emotionales Kapital in einer Gruppe aufbaut«, ist auf seiner Homepage zu lesen. Und: »Den Gästen soll eine Mischung aus Natur, Erholung und intensiven Gruppenprozessen angeboten werden. Gibt es ein besseres Auftanken als eine Kombination zwischen schöner, unberührter Natur und wirklicher Begegnung zwischen Menschen?«

»Nein«, sagt Schamane Lange, mit dem Lebensgemeinschaftsprojekt habe er keinen näheren Kontakt. Doch warum hat er sich für den Schamanismus entschieden und nicht für eine »heimische« Art der Spiritualität, wie sie etwa in Klöstern gelebt wird? Zu der christlichen Religion habe er nie eine Verbindung gefunden, da stehe zu sehr die Institution der Kirche dazwischen, meint Lange. Er arbeitet auch als Heiler, unternimmt mit Hilfesuchenden eine »schamanische Reise« um Energieblockaden herauszufinden. Die hätten ihren Ursprung oft in der Familie. Und um sie zu beseitigen, bedürfe es auch des Zutuns der Menschen selbst.

Weihrauch und Tabakduft

An Exotik kann es die oberbayerische Provinz jedenfalls inzwischen fast mit der Großstadt aufnehmen. Die »Bodenständigen« von Oberbrunn gehen nach wie vor zu Pfarrer Klein. Zugleich wird dort, wo früher die Kühe muhten, auch der Große Geist bemüht. Und während bei Klein der Weihrauchduft aufsteigt, ist es andernorts der Tabakrauch der Pfeifenzeremonie.

»Patchwork-Religion« nennt Pfarrer Klein das,...
»Patchwork-Religion« nennt Pfarrer Klein das,...

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