Die Guten ins Töpfchen

Die EU will ihre Grenzen mit neuer Überwachungstechnik ausstatten, die Rüstungsindustrie profitiert davon

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Studie kommt zu dem Ergebnis: Geplante EU-Maßnahmen zur Grenzüberwachung sind vor allem teuer.

In der Politik ist es wie in der Reklame. Wenn eine Sache übel und schlecht beleumundet ist, werden herbeigerufene Experten damit beauftragt, einen neuen Namen für sie zu finden. Deshalb heißt Atomenergie heute »Kernkraft« und Müll »Wertstoff«. Derzeit plant die EU-Kommission die Schaffung »intelligenter Grenzen«, neuer, verbesserter Überwachungssysteme an den europäischen Außengrenzen, deren Zweck hauptsächlich darin bestehen soll, Flüchtlinge von Europa fernzuhalten.

Vorgesehen ist mit dem »europäischen Grenzkontrollsystem« (EUROSUR) und den »smart borders« die totale Militarisierung der Grenzen: Hochauflösende Kameras, Radare, Drohnen, Satellitensysteme. Ben Hayes von der Bürgerrechtsorganisation Statewatch erklärt: »Es soll dort bald jede Art von Überwachungstechnik geben. Was das Herz begehrt.«

Einer neuen Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zufolge, die er mitverfasste und die gestern in Berlin vorgestellt wurde, verursacht die geplante Aufrüstung der Grenzen nicht nur unkalkulierbare Kosten in Milliardenhöhe, sondern verstößt auch gegen geltendes Recht. Ska Keller, grüne Abgeordnete im Europaparlament, sagte: »Es wird schärfere, automatisierte Grenzkontrollen geben, wer aus der EU aus- und wer einreist.« Diese würden »effizienter und unmenschlicher« werden. Das Recht auf Asyl werde auf diese Art unterminiert, Flüchtlingen solle die Möglichkeit genommen werden, Asyl in Europa zu beantragen. Ben Hayes bestätigt das: »Es geht dem Gesetzgeber nicht um den Schutz der Flüchtlinge und ihrer Rechte. Man möchte die Menschen gar nicht aus Seenot retten. Alles, was Migranten und ihre Boote aufhalten kann, ist willkommen.«

Doch sind nicht nur Asylsuchende von den Plänen betroffen, sondern sämtliche Reisende aus Ländern außerhalb der EU. Mit dem vorgesehenen Registrierungssystem EES (Einreise-/Ausreise-System) soll erfasst werden, »wer wann wo die Grenzen überquert«, so Keller. »Diese Datenmenge ist nicht nur unüberschaubar. Es besteht auch die Frage: Wer bekommt Zugriff auf diese Daten?«

Auch Ibrahim Awad von der American University in Cairo (AUC) äußerte schwere Bedenken. »Man sammelt üblicherweise solche Daten nicht von Unschuldigen.« Des Weiteren werde so unter den Einreisewilligen eine »Zweiklassengesellschaft« geschaffen: Die fünf Prozent Geschäftsleute, die privilegiert seien, weil sie Produkte und Dienstleistungen mit sich brächten, könnten anstandslos einreisen, während sich die anderen 95 Prozent fotografieren lassen und einer unwürdigen Prozedur unterziehen müssten. »Das ist ekelhaft«, meinte Awad.

Vorbild für die geplanten Maßnahmen zur Totalüberwachung ist auch die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Dort wurde der Zweck, Einwanderung zu verhindern, nicht erreicht. Dennoch wurden allein im Jahr 2010 in den USA 3,7 Milliarden Euro dafür ausgegeben. Zu befürchten sei, so Ben Hayes, »dass die EU dieselben Abwege beschreiten wird«. Der Studie zufolge werden auch von der EU-Kommission die Kosten von EUROSUR und EES extrem unterschätzt. »Nach sehr vorsichtigen Schätzungen«, so Hayes, müsse man statt der geplanten 338 Millionen »von 870 Millionen Euro ausgehen«.

Abzusehen ist, dass davon hauptsächlich die europäischen Rüstungskonzerne profitieren. »Dass hier die großen Waffenhersteller und Lieferanten von Sicherheitssystemen ein Riesengeschäft machen werden, ist vorprogrammiert«, sagte Hayes. Mathias Vermeulen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am European University Institute und Mitautor der Studie, bestätigte das. Die EU-Initiativen zur Grenzüberwachung seien nicht nur teuer, sondern überdies unnötig und aller Voraussicht nach nicht funktionstüchtig: »Zu den Folgen werden längere Warteschlangen an der EU-Außengrenze und Menschenrechtsverletzungen gehören. Es ist ein nicht funktionierendes System, das auch nicht zur Prävention von Terrorismus geeignet ist.« Darüber hinaus würden an den neuen Grenzanlagen riesige Mengen an biometrischen Daten von den Einreisenden gesammelt. »Die Speicherung solcher Daten, von den Fingerabdrücken bis zu Aufnahmen des Gesichts, ist nicht mit dem derzeit geltenden Recht in Übereinstimmung zu bringen«, so Vermeulen.

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