Zukunft gestalten heißt Traditionen leben

Der 26. Mai ist »National Sorry Day« in Australien - Tag der Entschuldigung für Jahrhunderte Unterdrückung der Aborigines

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.
underground cooking - die traditionelle Essenszubereitung wird zu besonderen Anlässen noch immer gepflegt
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Jacob fasst den Bumerang mit leichter Hand und schickt ihn zügig auf seine Umlaufbahn, die, wie er erklärt, einen Winkel von 45 Grad haben muss. Sekunden später landet er, wie vorhergesagt, direkt vor seinen Füßen. Sieht so was von simpel aus, doch beim Versuch, es nachzumachen, entwickelt das Teil ein Eigenleben. Entweder stürzt es nach wenigen Metern ab wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln oder man muss ganz schnell in Deckung gehen, um nicht zur »Beute« zu werden. Wir nehmen's sportlich, schließlich sind wir ja auch keine Aborigines. So wie Jacob Cassady und seine Söhne Buddy und Aramai.

Die 17- und 9-Jährigen sind die erste Generation vom Clan der Nywaigis, die wieder auf dem Land ihrer Vorfahren aufwachsen dürfen, das denen von den weißen Siedlern im 18. Jahrhundert gewalttätig weggenommen wurde. Erst 1992 fällte das Oberste Gericht Australiens nach jahrzehntelangem Kampf der Ureinwohner ein Urteil, das die Landrechte der australischen Ureinwohner auf Flächen, die traditionell in ihrem Besitz waren, anerkannte. Jacob Cassadys Familie erhielt einen Teil der Mungalla Station in der Nähe von Ingham an der Ostküste Queenslands zurück, wo seine Vorfahren rund 45 000 Jahre im Einklang mit der Natur lebten.

Seit 2000 züchtet Cassady hier Rinder, fünf Jahre später öffnete er die Mungalla Station auch für Touristen. Nicht, um ihnen eine Disney Welt mit rituellen Stammestänzen vorzuführen. Jacob Cassady sieht seine Mission darin, den Gästen die Sinne für die Ureinwohner Australiens zu schärfen, ihnen von deren Leben, Leiden und Traditionen zu erzählen. Und von den Hoffnungen der Aborigines auf eine Zukunft im eigenen Land.

Unter einem gewaltigen Mangobaum sitzend, erzählt der 48-Jährige von fast 50 000 Jahren »Traumzeit«. Sie umschreibt das kulturelle Erbe der Aborigines, ist der Schlüssel zum Verständnis ihrer Gedankenwelt und Lebensweise. Sie kennzeichnet den Beginn der Schöpfung von Land, Flüssen, Regen, Wind und aller Lebewesen. Die Ureinwohner durchstreiften das Land auf mythischen Pfaden, unsichtbaren Wegen, die den ganzen Kontinent durchzogen. Mit Liedern erschlossen sie sich ihre Welt, die mündlich weitergegeben wurden und sich zu einer Art akustischer Landkarte zusammenfügten. Cassady erzählt von der Bedeutung der Felszeichnungen überall auf dem Kontinent, die von allen Aborigines verstanden wurden und werden und in denen sie wie in einem Buch lesen können. Und vom Totemglauben - Totem können Bäume, Felsen oder Tiere sein, die jedem Clan seine Identität geben und ihnen heilig sind.

All das taten die Weißen Siedler als Humbug ab, respektierten weder den Glauben der Ureinwohner noch sie selbst. Bis in die 1960er Jahre wurden die Aborigines nicht einmal als Menschen betrachtet, sondern in die Spezies der Fauna eingeordnet. Wie ungeliebte Haustiere wurden sie lange von den weißen Landbesetzern als Eigentum betrachtet, mit denen sie tun und lassen konnten, was sie wollten. Auch verkaufen!

Das passierte 1880 und 1890 mit zwei Gruppen junger Aborigines, die der Amerikaner Robert A. Cunningham dann in die USA verschleppte, wo sie im Zirkus und Museum als Monster, Wilde und Kannibalen zur Schau gestellt wurden. Einer der jungen Männer, King Billy genannt, gehörte zur Mungalla Station und zum Clan der Nywaigis, ein anderer, Tambo, zu einem benachbarten Familienclan. Beide starben - wie auch die meisten anderen - in der Fremde. Tambos mumifizierter Leichnam wurde 1993 im Keller einer Leichenhalle in Ohio entdeckt. 110 Jahre nach seinem Tod kehrte der junge Mann endlich nach Hause zurück. Jacob hat Tambo, Billy und den anderen eine Ausstellung gewidmet, die weit über das Schicksal der beiden Gruppen hinaus an die schreckliche Vergangenheit der Aborigines erinnert.

Jacob kann aber auch ganz andere Geschichten erzählen, wie die von dem Mann, dem er und seine Familie den Nachnamen verdanken - James Cassady. Der flüchtete 1882 mit seiner Familie vor der Hungersnot in Irland nach Australien. Anders als die meisten Siedler sah er in den Aborigines keine primitiven ungezähmten Wilden, sondern akzeptierte sie und solidarisierte sich mit ihnen. Da nach dem damals geltenden Gesetz der Weißen die Ureinwohner aber in den Besitz dessen übergingen, der das Land als Siedler bekam, erhielten sie auch gleich den Namen des »Herrn«. Aborigines kannten bis dahin keine Nachnamen.

James Cassady, so Jacob, behandelte seine Leute nicht nur gut, sondern machte sich auch ihr jahrhundertealtes Wissen im Umgang mit der Natur zueigen. Der Ire züchtete auf Mungalla eine bis heute verbreitete Rinderrasse, die Droughtmaster, die dem Klima und den Bedingungen des Landes perfekt angepasst war.

Wenn Jacob Cassady mit seinen Besuchern über das weite Land der Mungalla Station fährt, führt der Weg auch zum Grab des Iren und dessen Familie, das von den Aborigines gepflegt wird. Unterwegs lüftet er so manches Geheimnis aus der Trickkiste der Natur. »Sie bietet alles, was Mensch und Tier zum Leben brauchen«, erzählt er. »Die Aborigines haben sich das zunutze gemacht, gaben und geben es an ihre Kinder weiter.« Jacob reißt ein paar Blätter von einem Busch, zerpflückt sie, gießt etwas Wasser dazu und reibt alles zwischen den Händen. Sekunden später schäumt es zwischen den Fingern hervor - die Pflanze wurde als natürliche Seife verwendet. Mit Hilfe der rauen Blätter eines anderen Busches wurde Bumerangs der Feinschliff verpasst.

Jacob und seine Familie sind stolz darauf, Aborigines zu sein. Er fühlt sich in den Staat integriert, weiß aber, dass trotz der offiziellen Entschuldigung der Regierung durch Premierminister Kevin Rudd im Jahr 2008 für das den Aborigines angetane Unrecht noch lange nicht alles im Lot ist. Noch immer sind die Ureinwohner am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen, Vorurteile gegen sie halten sich hartnäckig, noch immer bekommen viele Kinder der heute noch rund 450 000 Ureinwohner eine schlechtere Ausbildung. Viele der Älteren leiden bis heute an den Folgen der Zwangsassimilierung, bei der zwischen 1900 bis 1969 Aborigineskinder ihren Familien gewaltsam weggenommen und weißen Familien zur Erziehung übergeben wurden. Offizielle Zahlen sprechen von bis zu 30 Prozent aller Kinder, die man so entwurzelte und die in keiner der beiden Welten heimisch werden konnten. An all das erinnert der »National Sorry Day«, der seit 1998 alljährlich am 26. Mai als nichtamtlicher Feiertag begangen wird.

  • Infos: www.mungallaaboriginaltours.com.au
  • Infos zu Queensland: Tourism Queensland, c/o Global Spot, Oberbrunner Str. 4, 81475 München, Tel. (089) 759 69 88 69, E-Mail: germany@tq.com.au, www.queensland-australia.eu/de
  • Spezielle Seite zu Aboriginestouren: www.aboriginaltourism.australia.com (in Englisch)
  • Lesenswerte Literatur zum Thema: Bruce Chatwin, »Traumpfade«, Hanser Verlag, 24,90 €
  • Reiseführer: Dumont Richtig Reisen, »Australien«, 24,95 €
Jacob Cassady und Sohn Aramai
Jacob Cassady und Sohn Aramai
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