Zentrum der Kultur im Stadtteil

Auf der jährlichen Fiesta der »Casa de la Cultura« in Mexiko-Stadt wird musiziert, getanzt und gefeiert

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 6 Min.
Kultur, Kunst und feiern: Zur Bereicherung des kulturellen Lebens in Stadt und Land tragen häufig auch Menschen aus sozialen Bewegungen bei. Mit nicht-kommerziellen Angeboten zeigen sie Alternativen zum Herkömmlichen auf, die für viele anziehend wirken. nd-Autoren besuchten Künstler in Mexiko-Stadt.
Tanis mit dunklen Dreadlocks, kniend, und vier Freunde beim Capoeira, eine Kampfkunst bzw. ein Kampftanz.
Tanis mit dunklen Dreadlocks, kniend, und vier Freunde beim Capoeira, eine Kampfkunst bzw. ein Kampftanz.

Die »Casa Benito Juárez« im Arbeiterstadtteil El Triunfo von Mexiko-Stadt ist etwas nahezu einmaliges. Seit 16 Jahren bereichert das autonome Kulturzentrum das Viertel.

Die Casa de la Cultura Benito Júarez ist schon von Weitem zu sehen. Die Außenwand des Kulturzentrums in Mexikos Hauptstadt ist mit dem Konterfei des mexikanischen Revolutionshelden Emiliano Zapata und der Parole »Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit« geschmückt. Das mächtige Metalltor ist sperrangelweit geöffnet und gibt den Blick in den Innenhof des alternativen Kulturzentrums frei.

Gegenüber des großen Spiegels, den die Theater- und die Capoeiragruppe nutzen, ist ein weiteres Wandbild zu sehen. Es mahnt zur Solidarität mit den Zapatisten im südlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Solidarität wird im Kulturhaus des Stadtteils El Triunfo groß geschrieben. »Wir meinen allerdings die Solidarität mit denen hier unten und nicht mit denen da oben«, ergänzt ein Jugendlicher, der gerade noch auf der Bühne stand und gemeinsam mit einer Gruppe von jungen Frauen eine Performance gegen Konsumwahn aufgeführt hat - Marken wie Nike, Apple und der Hang zu Statussymbolen kamen dabei zur Sprache, ebenso die Verrenkungen, die so mancher Jugendlicher und Erwachsener für den Kauf derartiger Utensilien so macht.

Kultur für die Jugend - selbstorganisiert

Diese Güter können sich viele Bewohner von El Triunfo in aller Regel kaum leisten. Der Stadtteil, der etwas außerhalb des Zentrums von Mexiko-Stadt liegt und zum Distrikt Iztapalapa gehört, ist einer der ärmeren und ein indigen geprägtes Arbeiterviertel. »Ein Kulturangebot war hier nie vorgesehen. Das Kulturzentrum wurde von Leuten aus dem Stadtteil aufgebaut, die der Jugend etwas anbieten wollten«, erklärt Tanis alias Marco Huerta. Der kräftige Mann mit den bis zur Hüfte reichenden Dreadlocks ist seit Beginn dabei. Er unterrichtet Capoeira, die tänzerische brasilianische Kampfkunst, die die Sklaven entwickelten, um sich gegen ihre Peiniger zur Wehr setzen zu können. Aber auch Musik ist eines seiner Unterrichtsfächer. Tanis steht bei mexikanischen Politband Panteón Rococó an den Congas - den Handtrommeln.

Die Band ergreift seit ihrer Gründung Partei für die einfache Bevölkerung und drückt den Zapatisten in Chiapas die Daumen. Gleiches gilt für die Casa de la Cultura Benito Júarez, wo schon Spenden für die Zapatisten gesammelt wurden und wo es immer mal wieder Vorträge über die Arbeit in den Dörfern und deren basisdemokratische Strukturen gab.

Zu lernen, wie es auch anders geht, wird in dem Kulturzentrum groß geschrieben und an einem Tag wie heute, dem 16. Jubiläum, ist das durchaus sichtbar. So ist »Radio Esperanza«, Radio Hoffnung, eine sarkastische Auseinandersetzung mit der Medienrealität in Mexiko, von bornierten Moderatorinnen ist da genauso die Rede wie von der fehlenden Berichterstattung über soziale Konflikte. »Von denen gibt es in Mexiko reichlich«, erklärt Veronica Caporal.

Die Sozialwissenschaftlerin ist heute nach El Triunfo gekommen, um mit ihrer sechsjährigen Tochter Aura ihren Spaß zu haben. Herzhaft hat sie über die ersten beiden Auftritte der Theatergruppe gelacht, nun schaut sie der Vorführung der Capoeira-Gruppe draußen vor dem eigentlichen Kulturhaus zu. Dort befindet sich eine Freifläche, wo nicht nur die Bühne aufgebaut ist, vor der die Kampfsportler gerade auftreten, sondern auch die Essenstände. Deren Einnahmen sollen nicht nur die Fiesta am heutigen Tag, sondern auch die eine oder andere Anschaffung ermöglichen.

»Kulturprojekte auf Stadtteilebene sind selten und werden vom Staat nicht gefördert«, erklärt Tanis. Er wäre froh, wenn es auch in Mexiko so etwas gäbe wie die autonomen Jugendzentren in Deutschland. »An Anlaufpunkten für junge Menschen, die dort ihre eigene Kreativität entdecken können, fehlt es«, kritisiert der Musiker, dem es Spaß macht, mit dem Nachwuchs zu arbeiten. Er trommelt mit den Kids, bringt ihnen bei, wie ein Bass funktioniert und wie ein Mischpult eingesetzt werden kann. Dabei haben ihn einige der Mitglieder von Panteón Rococó zielstrebig unterstützt. Sie haben Konzerte gegeben und Tanis dabei geholfen, T-Shirts der Casa auf Tour zu verkaufen sowie Instrumente für seine Arbeit zu erwerben.

Aus einer Müllkippe wird ein Jugendzentrum

Seit 16 Jahren existiert nunmehr das Kulturprojekt. Dafür wurde damals ein Gebäude am Rande einer Müllkippe umgebaut und neu gestrichen. »So ähnlich wie in Europa in den 80er und 90er Jahren«, erklärt Tanis, der die besetzten Häuser am Hamburger Hafen Anfang der 90er Jahre bei seiner ersten Tournee kennenlernte. Doch der Auslöser für die Casa de la Cultura war ein anderer. »Wir wollten uns mit dem kulturellen Ansatz der Zapatisten, den Aguascalientes, solidarisieren. Unsere Casa de la Cultura sollte ein Anlaufpunkt für Menschenrechte, Kultur, Bildung und Ernährung sein«, erklärt Tanis. Dessen Frau, Eva Maria, eine Österreicherin, arbeitet auch im Kulturhaus. Derzeit sind es sieben bis acht Frauen und Männer, die sich in dem Gebäude mit dem geräumigen Vorplatz engagieren, Kurse geben, sich um die Verwaltung kümmern und immer neue Kontakte knüpfen - zu Künstlern, die Malerei, Fotografie, Musik und anderes in das Stadtviertel bringen, aber auch zu Experten, die Frauen und Männer aus der Nachbarschaft zu alternativer Medizin, Massagetechniken und Ernährung informieren.

Vielfältig geht es in der Casa de la Cultura Benito Júarez zu und es ist kein Zufall, dass man das Haus nach dem ersten indigenen Präsidenten Mexikos benannte. Der hat für die Integration und gegen die Übernahme durch das imperialistische Frankreich gekämpft und gilt als wichtiger Reformer. Der indigene Bezug ist ein Eckpfeiler der Arbeit, der andere die kritische Distanz zum Staat. Nicht nur weil die ökonomischen Daten im gesamten Distrikt von Iztapalapa nicht sonderlich positiv sind, sondern auch weil man dem staatlichen Management nicht traut.

Ausverkauf lautet die Devise. Dagegen wehrt man sich in Mexiko immer häufiger und der staatliche Versuch der Zerschlagung der Gewerkschaft des städtischen Stromlieferanten hat zu Widerstand und Solidarität geführt. So wird in der Casa de la Cultura für Strom erst gar nicht bezahlt. Für die Akteure ein legitimer Akt des Widerstands.

»Korruption und Vetternwirtschaft machen die Politik genauso unglaubwürdig wie die Militarisierung des Landes durch Militär und Polizei im vermeintlichen Kampf gegen Drogenschmuggel und organisierte Kriminalität«, erklärt Veronica Caporal. Sie kennt die Untätigkeit und weitgehende Abwesenheit des Staates in vielen Landesteilen aus eigener Anschauung - im Süden wie im Norden des Landes. Dorther kommen auch viele der Tänze, die heute im Kulturhaus Benito Júarez geprobt und anschließend präsentiert werden. Ein Stück Identität für viele Tänzer wie María und Enrique. Die drehen gerade unter dem Konterfei von Emiliano Zapata eine Pirouette. Acht Paare sind es, die bei der ersten Vorführung dabei sind, weitere sechs oder sieben bei der Zweiten.

Doch der Höhepunkt des Abends ist wie immer das Konzert, wenn junge Bands aus der Umgebung und gute Freunde des Hauses die Bühne auf dem Vorplatz in Beschlag nehmen. Tanis ist dann für den Sound verantwortlich. Veronica Caporal hat ihre Tochter bei einer Tante untergebracht, sodass sie selbst die Tanzfläche entern kann.

Die jährliche Fiesta des Zentrums »Casa de la Cultura Benito Júarez« endet mit einem Konzert mit Musikern und Bands aus dem Stadtviertel.
Die jährliche Fiesta des Zentrums »Casa de la Cultura Benito Júarez« endet mit einem Konzert mit Musikern und Bands aus dem Stadtviertel.
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