Keine schutzlose Verfassung

Behördenleiterin Winfriede Schreiber bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine alltägliche Begegnung war es nicht, als sich vor einigen Tagen Brandenburgs Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Potsdam einfand. Ein zwangloser Meinungsaustausch war angekündigt, und es wurde auch einer daraus. Wenn auch zu ernsten Themen.

Schreiber, sie hat als Verwaltungsrichterin, später als Präsidentin des Frankfurter Polizeipräsidiums gearbeitet, bevor der frühere CDU-Innenminister Jörg Schönbohm sie zur Leiterin der Verfassungsschutzbehörde berief, ließ keinen Zweifel daran, dass sie den Rechtsextremismus als Hauptfeld der Tätigkeit ihrer Behörde betrachtet. Die LINKEN in Brandenburg seien für sie kein Thema, da es sich bei ihnen nicht um »Chaoten« handle, die aus einstigen K-Gruppen hervorgegangen sind, wie möglicherweise in westlichen Bundesländern.

Nicht zur Sprache kam an diesem Abend der Streit um als linksextrem eingestufte Musik in Brandenburg und auch die Proteste dagegen. Die Behördenchefin nannte vielmehr die Vielzahl rechtsextremer Bands in der Mark ein Problem. Doch habe durch eine bundesweit inzwischen als vorbildlich angesehene Präventionstätigkeit (Tätigkeitskonzept »Tolerantes Brandenburg«, Initiativen gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit) auf vielen Ebenen erreicht werden können, dass sich die Zahl der ungestörten rechtsextremen Konzerte zumindest auf brandenburgischen Territorium in Grenzen halte. Während die rechtsextreme DVU inzwischen praktisch bei Null angelangt sei, gebe es die NPD vereinzelt in kommunalen Parlamenten, wenn auch längst nicht in dem von ihr angestrebten Umfang, informierte die Beamtin. Da ein deutsch-nationales Element im Unterschied zu Westdeutschland kaum ausgeprägt sei, gebe es hier den Bezug zur NSDAP viel unmittelbarer. Für neuere Entwicklungen typisch ist laut Schreiber, dass Ausländer derzeit weniger im Visier sind und Rechtsextreme sich auf die Verfolgung des politischen Gegners konzentrieren.

Welche Schlussfolgerungen die Behörden aus den Ereignissen um die mörderische NSU-Zelle in Erfurt gezogen habe, wurde Schreiber gefragt. Eine engere Zusammenarbeit mit der Polizei, ein intensiverer Informationsaustausch, war Teil der Antwort. Ohnehin bestätigte sie, dass es für den öffentlichen Dienst im Brandenburg eine Informationspflicht gegenüber ihrer Behörde gebe. Informationen aus diesem Bereich seien jedoch auf diesem Wege nur zu gewinnen, wenn die Behörde ein Gesicht zeige und offen auftrete. Selbst Kita-Erzieherinnen hätten diesbezüglich Verantwortung, unterstrich Schreiber. Wenn ein Kind mit einem T-Shirt abgegeben werde, auf dem eine 88 »prangt« (Szenecode für »Heil Hitler«), dann sollte gegenüber den Eltern Ablehnung deutlich werden.

Rechtsextremismus in Polizei oder Bundeswehr sei in den 80er Jahren ein Thema gewesen (»Judenwitze«), heute spiele das kaum noch eine Rolle und gerade die Bundeswehr verfüge über Mittel, sich freizuhalten, sagte sie. Die nun kommende Freiwilligenarmee werfe indessen neue Fragen auf.

Die Leiterin wies darauf hin, dass ihre Mitarbeiter nicht bewaffnet sind und weitgehend auch offene Quellen nutzen. Nicht alles konnte in den zwei Stunden erörtern werden, ausgespart blieb, was es eigentlich bedeutet, dass die CDU in Brandenburg die Verfassung mehrheitlich abgelehnt hat, zum Beispiel, oder dass in den zehn Jahren SPD-CDU-Regierung Gerichte acht Mal Landesgesetze kippen mussten, weil sie gegen die Verfassung verstießen. Dass bei der Veranstaltung auch noch zwei Damen von der NPD anwesend waren, die mit der von ihnen aufgeworfenen Problematik einer reichsdeutschen Staatsbürgerschaft eher für Unterhaltung als für Zorn sorgten, sei noch angemerkt. So gesehen war auch das eine Premiere.

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