Der frühe Dürer
- im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg
Zwei Buchstaben, ein Markenzeichen: AD. Albrecht Dürer überstrahlt nicht nur seine eigene Zeit. Über alle Epochen hinweg wurde er zum Aushängeschild deutscher Kunst gemacht, stand für schwermütig Vergrübeltes, für Faustisches, für Ritter-Tod-und-Teufel-Stimmung. Wo ihn die einen nationalideologisch vereinnahmen wollten, glaubten die anderen in seinem Werk eine Erscheinung des künstlerischen Weltgeistes zu erkennen. Alles Deutungspfade, die man in der Heimatstadt des Renaissancetitanen meidet. Mit der ersten umfassenden Dürer-Ausstellung seit vier Jahrzehnten unterzieht das Germanische Nationalmuseum (GNM) das Schaffen des Künstlers nun einer Generalrevision. 120 seiner Arbeiten treffen auf 80 weitere aus dem historischen Umfeld.
Damit holt die Schau den Maler und Grafiker auf den Boden der modernen Kulturgeschichte und der naturwissenschaftlichen Fakten. Die Präsentation, die aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt hervorging, lenkt den Blick auf die Jugend- und Gründerjahre: Die Kuratoren Daniel Hess und Thomas Eser betreiben Altnürnberger Milieustudien, entdecken den jungen Künstler als pragmatischen Medienunternehmer, fragen nach Vermarktungsstrategien: »War Dürer ein Selbstinszenierer?« Immerhin zeigt er sich auf seinem legendären Münchener Selbstporträt gegen jede historische Konvention als Christus. Ein ikonografisches Rollenspiel mit Bart und Langhaarfrisur, wie es heute Jonathan Meese wieder aufgelegt hat.
Bezeichnenderweise ist auch das älteste bekannte Dürer-Blatt ein Selbstbildnis. 1484 entstanden, zeigt es den aufgeweckten Dreizehnjährigen in der väterlichen Goldschmiedewerkstatt. Spätestens da dürfte Dürer senior gewusst haben, dass sein Spross woanders besser aufgehoben war. Er gibt ihn in die Obhut des angesehen Porträt- und Altarspezialisten Michael Wolgemut, der ein paar Häuser weiter residierte.
Die methodisch innovativste Leistung der Kuratoren liegt darin, dass sie Dürer aus seinem sozialen Mikrokosmos heraus zu begreifen suchen. Alle wichtigen Prägungen erfuhr der Künstler quasi aus dem Nachbarschaftsumfeld, das akribisch rekonstruiert wurde. Dank der Multimediainstallationen kann der Besucher selbst über die Burgstraße und ihre Seitengassen wandeln, virtuell in die altfränkische Fachwerk- und Butzenscheibenatmosphäre eintauchen. Tür an Tür mit den Dürers lebte Nürnbergs Patrizierelite. Humanisten, Händler und Bürgerhandwerker, die Latein und Griechisch sprachen und in deren Bücherbord nicht nur die Bibel stand. Als Dürer zum ersten Mal die Alpen Richtung Süden überquerte, hatte er bereits erste Antike-Erfahrungen gesammelt. Weswegen er Italiens Malereimatadore auch nicht nur kopiert, sondern in den eigenen Bildungshintergrund einfügt.
Obwohl etwa die Haller-Madonna mit ihrem edlem Ultramarinmantel ohne Giovanni Bellini nicht denkbar gewesen wäre, muss der Lehrsatz, erst mit Dürers Rückkehr sei die Renaissance im Norden angekommen, relativiert werden. Ebenso wie die Behauptung, er habe die Landschaftsmalerei erfunden. Beispiele für autonome Naturgestaltung fand der junge Künstler bereits aus der Generation vor ihm. So eine Hans Traut zugeschriebene Gebirgsszene oder Wald- und Wiesenhintergründe aus dem Umfeld Hans Pleydenwurffs. Dennoch offenbart sich in der Gegenüberstellung mit den Vorläufern Dürers Könnerschaft umso nachhaltiger. Wo andere die Landschaft mit schütteren Bäumchen und stoppeligen Büschen eher trostlos orchestrieren, bieten Dürers grasfrische »Drahtziehmühle« (um 1490/1495) oder die Vedute der Burg Segonzano reiche Stimmungspanoramen.
Doch als Start-up-Unternehmer konzentriert er sich lieber auf anderes: Holzschnitt und Kupferstich bringen ihm den meisten Umsatz. In den Blättern der Apokalypse-Folge, dem Zyklus zum Marienleben, aber auch in Einblattdrucken, die als frühe Form des Bildjournalismus Tagesereignisse illustrieren, verbindet sich erzählerischer Kompositionsreichtum mit präziser Figurenregie. Die Vorstudie zum »Verlorenen Sohn« verrät, wie penibel Dürer am Arrangement gefeilt hat: Auf dem fertigen Stich sind noch ein paar Schweine mehr, wodurch die gesamte Szene an Bewegungskraft gewinnt.
Angesichts der Grafik-Dominanz halten sich malerische Altarkompositionen wie die taghelle »Anbetung der Könige« (1504) fast schon im Hintergrund und werden unter dem Leitbegriff »Dramatik« auch etwas unspezifisch in den Rundgang eingebunden.
Keine Frage, die Ausstellung ist mehr Wissenschaftler- als Kuratorenwerk. Skizzenvergleiche, eine Untersuchungsreihe über die Augen der Selbstporträts und Ausführungen über Infrarotreflektografie erliegen bisweilen sehr der Liebe zum Detail. Und sie berücksichtigen nicht immer die begrenzte Aufnahmefähigkeit des Laien. Trotzdem, was beim Durchleuchten der Bilder herauskommt, lässt oft schmunzeln. Auch wenn es nicht gleich die ganze Kunstgeschichte auf den Kopf stellt. Für ein Konterfei seiner Mutter etwa verwendete Dürer eine zusammengeflickte Leinwand. Für Mutti nicht immer nur das Beste!
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, bis 2. 9., Di-So 10-18, Mi bis 21 Uhr. Katalog.
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