Hamburger Wetter
Mit Wasserwerfern, Reizgas und Pferden räumte die Polizei Antifaschisten von der Straße
Glasscherben, zerfetzte Plastikplanen und Sitzkissen liegen auf der Straße. Am Rand kauern Menschen, denen Sanitäter die Augen ausspülen müssen. An Pfefferspray hatten die Einsatzkräfte während ihres Vorgehens gegen die Blockierer des Naziaufmarsches in Hamburg nicht gespart. Minuten zuvor war die Lage an der Kreuzung Hasselbrookstraße/Marienthalerstraße, mitten im Wohngebiet des traditionellen Arbeiterbezirks Wandsbek, aus dem Ruder gelaufen. Mehr als 700 Menschen hatten die Fahrbahn besetzt, um die Naziikonen Thomas Wulff und Christian Worch mit ihrer Gefolgschaft am Marschieren zu hindern.
Als der von Landsknechtstrommlern angeführte Zug sich näherte, begannen Polizisten, die sich friedlich verhaltenden Gegendemonstranten brutal von der Straße zu zerren. Dabei wendeten sie schmerzhafte Griffe an. Noch mehr eskalierte die Lage, als autonome Gruppen Feuerwerkskörper, Steine und Flaschen warfen - teilweise in die eigenen Reihen und in die Sitzblockade. Die Polizei rückte mit Wasserwerfern vor.
Ähnliche Szenarien ereigneten sich auch in benachbarten Straßen. Es wurden nicht nur Mülltonnen, sondern auch zwei Anwohnerfahrzeuge und ein Polizeiwagen in Brand gesetzt. Beamte zu Pferd machten Jagd auf Nazigegner, denen es gelungen war, die Polizeiketten zu umgehen. An einem Park lösten sich kleine Nazitrupps kurzzeitig von ihrer Demo und griffen Antifaschisten an. Die braunen Kameraden, die in ihren Redebeiträgen mit gewohnter Larmoyanz einen »Völkermord« an den Deutschen herbeihalluzinierten, waren sichtlich frustriert: Nicht nur lag die Teilnehmerzahl an ihrem Aufmarsch mit knapp 500 Personen unter ihren Erwartungen - sie konnten sich auch erst mit einer Verzögerung von drei Stunden in Bewegung setzen und mussten eine verkürzte Route nehmen. Denn der Blockadering rund um ihren Versammlungsort funktionierte gut. Etwa 5000 Antifaschisten hatten sich nach Angaben des Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR) daran beteiligt.
»Die Polizei hat die Ersatzroute der Nazis durchgeknüppelt, statt rechtliche Möglichkeiten für ein Verbot der Nazidemo zu nutzen«, sagte Olaf Harms, Sprecher des HBgR. Ebenso Anlass für massive Kritik bot eine andere polizeiliche Maßnahme: Bereits am Vormittag hatten die Ordnungshüter in Wandsbek rund 400 Antifas umzingelt und stundenlang festgehalten ohne Wasser und die Möglichkeit, eine Toilette aufzusuchen - ein »menschenunwürdiges« Vorgehen, so Harms, das an den »Hamburger Kessel« von 1986 erinnere. Einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen auch die Augenreizungen, Schürf- und Platzwunden, vereinzelt auch Kopfverletzungen, die viele Nazi-gegner erlitten haben. Nach Angaben der Polizei kamen von den 4400 Beamten aus mehreren Bundesländern, die im Einsatz waren, 38 zu Schaden.
Trotz der Ausschreitungen zog das HBgR eine positive Bilanz, weil es gelungen war, viele Menschen gegen den braunen Mob zu mobilisieren und sein Vorhaben weitgehend zu vereiteln.
Auch in der Hamburger Innenstadt verliefen die Antinazi-Proteste erfolgreich: Morgens hatten sich rund 5000 Bürger am Gerhart-Hauptmann-Platz für eine Demonstration versammelt, die am ehemaligen Gestapo-Gebäude an der Stadthausbrücke vorbei zum Gänsemarkt zog. Dort hielt die LINKE-Bürgerschaftsfraktion eine öffentliche Sitzung ab. Die Wartezeit vertrieben sich die Anwesenden mit dem Aufblasen roter »No Nazis!«-Ballons. »Niemand wird diese Stadt, niemand wird dieses Land verlassen - weil wir hier zuhause sind!«, sagte die LINKE-Abgeordnete Cansu Özdemir. Ihr Parlamentskollege Mehmet Yildiz rief dazu auf, »den Faschisten deutlich zu machen, dass sie keinen Platz in dieser Stadt haben«.
300 Meter entfernt, am Rathaus, haben Senat und Bürgerschaft zur Kundgebung »Hamburg bekennt Farbe« geladen. Gut 10 000 Menschen sind gekommen. Um halb zwölf sprach Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Er bekräftigte seine Einbürgerungsinitiative und wendete sich an die ungebetenen Gäste: »Wir achten das Demonstrationsrecht, aber ich sage auch: Wir verachten die Rechtsradikalen, die heute in unserer Stadt sind.«
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