Alternativen zu ACTA in Arbeit
Erneut protestierten am Wochenende Tausende Gegner / Ihr Erfolg steht jedoch in den Sternen
Am Ende blies der Wind den Piraten in Chemnitz beinahe ihren orangefarbenen Pavillon samt den mitgebrachten Informationsbroschüren davon. Von Letzteren hätten die demokratischen Freibeuter am Samstag sicherlich gerne mehr verteilt.
Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr gingen weltweit mehrere Tausend Menschen gegen das umstrittene Handels- und Urheberrechtsabkommen ACTA auf die Straße. Zu den Protesten hatte ein breites Bündnis aus Piratenpartei, LINKEN, Grünen und SPD sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgerufen. Im Vergleich zu den zwei Aktionstagen im Frühjahr beteiligten sich allerdings deutlich weniger Menschen an den in über 60 deutschen Städten stattgefundenen Protesten. Die größte Demonstration gab es laut Veranstaltern in Berlin mit 800 Menschen. In Hamburg und München wurden jeweils 500 Teilnehmer gezählt.
Zum Vergleich: Beim ersten Aktionstag Mitte Februar waren es nach Polizeiangaben allein in der bayerischen Landeshauptstadt noch mehr als 16 000 Menschen gewesen. Auch in Chemnitz nahm das Interesse spürbar ab. Gerade einmal 60 Personen versammelten sich Samstagnachmittag auf dem Marktplatz. Vor vier Monaten waren es noch fünf Mal so viele Teilnehmer. Steffen Mühsinger kann sich das mangelnde Interesse nur schwer erklären. »Vielleicht liegt es am heutigen Spiel der Nationalmannschaft«, scherzt der Pirat.
Nicht unschuldig am schwindenden Protestinteresse dürften allerdings auch die Entwicklungen der letzten Wochen rund um ACTA selbst sein. Für das umstrittene Abkommen sieht es aktuell nicht gut aus, mancher könnte seinen Protest für erledigt halten. Erst in der vergangenen Woche wurde bekannt, dass der Entwicklungsausschuss des Europaparlaments das Vertragswerk mit 20 zu einer Gegenstimme abgelehnt hat. Zuvor war das Abkommen bereits in drei weiteren Ausschüssen durchgefallen. Zwar besitzen diese Entscheidungen für die Anfang Juli geplante Abstimmung im Europaparlament nur empfehlenden Charakter, doch die Zeichen für eine Ablehnung könnten nicht deutlicher sein. Mittlerweile beschäftigt sich auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit ACTA. Die Richter prüfen, ob das internationale Abkommen überhaupt mit den geltenden europäischen Verträgen vereinbar ist.
In eine andere Stoßrichtung gehen derweilen die Überlegungen von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« äußerte die FDP-Politikerin Verständnis für die Proteste und plädierte dafür, das Abkommen in einer reduzierten Form zur Abstimmung zu bringen. »Wenn wir das Urheberrecht bei ACTA ausklammern, hätten wir wenigstens einen Bereich, in dem wir uns einigen können«, erklärte die Justizministerin. Ob die Gegner sich mit diesem Kompromiss zufriedengeben werden, ist zweifelhaft. Immerhin betrifft ACTA mehr als nur Urheberrechtsfragen.
Die Chemnitzer Aktivisten wollen die Entwicklung weiter kritisch beobachten. Selbst im Falle einer Ablehnung des Abkommens wäre der Kampf um die Freiheit im Internet noch längst nicht ausgestanden, warnt Piratenmitglied Michael Matschie. »Es werden bereits Verhandlungen zu Nachfolgeabkommen geführt«, so der 25-Jährige. Die sowohl international als auch auf EU-Ebene diskutierten Vorhaben tragen Bezeichnungen wie »Indect«, »Clean IT« oder »Intellectual Property Rights Enforcement Directive« - kurz »IPRED«. Teilweise gehen diese Abkommen noch über die ACTA-Pläne hinaus. So soll IPRED laut ersten Entwürfen Provider zu einer generellen Überwachung des Internetverkehrs ihrer Kunden verpflichten.
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