»Die Revolution ist erst der Anfang«

Shahinda Maklad, Aktivistin der ersten Stunde, über den Kampf um ein freies und demokratisches Ägypten

  • Lesedauer: 7 Min.
Sie hat schwere Schicksalsschläge erlitten, ihr Mann wurde Opfer eines politischen Verbrechens, ihr jüngster Sohn von »Blutrache«; sie selbst war mehrfach inhaftiert. Doch SHAHINDA MAKLAD ist eine Kämpfernatur. »Ich werde nicht zerbrechen« heißen denn auch ihre Memoiren (mit Gerhard Haase-Hindenberg, Bastei Lübbe, 333 S., br., 9,99 €), die sie dieser Tage in Berlin vorstellte. Bei der Gelegenheit sprach KARLEN VESPER mit der Generalsekretärin des ägyptischen Bauernverbandes, die seit dem ersten Tag der Revolution in ihrer Heimat auf dem Tahrir-Platz steht, um der Jugend beizustehen.

nd: Frau Shahinda Maklad, am Wochenende kommt es in Ihrer Heimat zur Stichwahl. Welchen Kandidaten favorisieren Sie?
Shahinda Maklad: Keinen von beiden.

Wie kam es dazu, dass Shafiq, Ex-Premier von Mubarak, überhaupt zur Wahl antreten konnte? Sollte dies nicht Männern des alten Systems verwehrt sein?
Das Volk wollte dies nicht, aber es gab kein Verbot. Ich bin auch gegen ein solches, aus eigener Erfahrung. Wir haben jahrelang unter dem Gesetz der politischen Isolierung gelitten, das Oppositionelle, zumal wenn sie im Gefängnis gewesen sind, Zutritt zu Ämtern verbot. Dass Shafiq und Mursi es zur Stichwahl geschafft haben, liegt daran, dass die Revolutionäre zerstritten und zersplittert sind.

Ende vergangenen Jahres zog Mohammed el-Baradei seine Kandidatur im Parlamentswahlkampf zurück. Es hieß in den Medien, der ehemalige Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde habe keinen Rückhalt im Volk.
Das ist eine Lüge der Träger des alten Regimes. Sie hassten und fürchteten niemanden mehr als el-Baradei. Das Volk liebt ihn. Er war nicht in das korrupte System involviert. Ich habe ihn in seiner Entscheidung bestärkt. Shafik und Mursi haben Millionen im Wahlkampf ausgegeben. Und solange das ungerechte Wahlgesetz nicht verändert wird, haben die Favoriten des Volkes keine Chance.

Das klingt nach Resignation.
Ich resigniere nicht. Ich habe großes Vertrauen in das Volk.

Auch Sie sollten antreten ...
Aber ich wollte nicht. Ich bin zwei Mal in den Wahlkampf gezogen, unter Sadat und Mubarak. Jetzt ist die Jugend dran. Wir haben eine ausgezeichnet ausgebildete junge Generation. Sie hat den Funken der Revolution auf dem Tahrir-Platz entzündet. Ich unterstütze sie gern mit meinen Erfahrungen. Und ich lerne viel von ihnen. Politische Aktionen heute unterscheiden sich gänzlich von unseren. Wir sind mit dem Fahrrad durch die Dörfer gefahren und haben unsere Plakate noch per Hand gefertigt und unter die Menschen gebracht. Heute geschieht das alles über Internet. Das spart viel Zeit und Anstrengung.

Aber per Internet erlangt man nicht die materielle Gewalt.
Zuerst erschüttert man das Regime, dann übernimmt man das Ruder. Das ist nicht leicht, aber teilweise leichter als früher. Die Revolutionen von heute unterscheiden sich in Form und Charakter von denen vergangener Zeiten. Die Welt hat sich verändert.

Über ein Jahr währt nun schon die ägyptische Revolution. Für Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben, eine schwere Bürde.
Wir sind uns alle einig, dass wir die unruhige Phase überwinden müssen, aber nicht um den Preis, unsere Revolution zu verraten. Wir hoffen, dass uns ausländische Investoren helfen, aber als Partner. Wir wollen nicht wieder in Abhängigkeiten geraten wie unter Sadat und Mubarak, die eine Politik des Ausverkaufs betrieben. Das Volk wird niemandem mehr gestatten, das Land auszuplündern.

Sie waren ein junges Mädchen, als es in Ägypten schon mal eine Revolution gab, begonnen mit dem Staatsstreich der »Freien Offiziere« unter Gamal Abd al-Nasser am 23. Juli 1952. Und Sie mussten miterleben und miterleiden, wie sich die Hoffnungen zerschlugen.
Sie wurde zerschlagen durch Opportunisten wie Sadat. Ich weiß noch, wie wir am Radio lauschten, als Nasser den Sturz der Monarchie verkündete. Mein Vater schrieb ein Telegramm an ihn, in dem er der Revolution Erfolg wünschte, solange sie für das Volk da sei. Mein Vater war Polizeichef in Tanta, aber er vergaß nie seine Herkunft. Er stammte aus Kam-shih, einem Dorf, das es schon zur Zeit der Pharaonen gab. Er wusste um die Not der Fellachen.

Was blieb von den zwei Agrarreform-Gesetzen, die in Nassers Ära verabschiedet wurden?
Nichts. Deren Umsetzung wurde schon in der Zeit von Nasser durch die Großgrundbesitzer torpediert. Durch Urkundenfälschung und Terror. Das habe ich in Kamshih erlebt. Der Großgrundbesitzer fühlte sich stark, denn er hatte einen mächtigen Freund: Sadat. Sie schreckten auch vor Mord und Totschlag nicht zurück. Salah, mein Mann, wurde erschossen.

Er war auch Ihr Cousin.
Und schon Schwarm meiner Mädchentage. Er sah gut aus und war ein Revolutionär. Meine Mutter hatte jedoch einen anderen Mann für mich ausgewählt, als ich noch nicht mal 17 Jahre alt war. Aber ich bin kurz nach der Hochzeit geflüchtet - um mit Saleh zu leben und mit ihm für die Rechte der Bauern zu kämpfen. Als er ermordet worden ist, wollten die Bauern ihn rächen. Ich konnte sie nur mit Mühe von Lynchjustiz abhalten und von der Notwendigkeit eines Prozesses überzeugen.

Auch unsere Revolution vom 25. Januar hat viele Opfer gekostet. Keine Diktatur tritt freiwillig und gewaltlos ab. Wir riefen auf dem Tahrir-Platz: »Keine Gewalt!« Und obwohl es Tote gab, war unsere Revolution doch eine friedliche, nicht so blutig wie die Französische Revolution oder die russische Oktoberrevolution. Für Gewalt und Korruption Verantwortliche müssen vor Gericht gestellt werden. Aber wenn wir Rache üben, sind wir nicht besser als unsere Gegner.

Wer wird die Rechte der Fellachen im neuen Ägypten vertreten?
Unser Bauernverband, die Gewerkschaften und mit uns solidarisierende Organisationen. Die Fellachen kommen zu uns und sagen: »Wir wollen mitmachen.« Als sich die Jugend auf dem Tahir-Platz zu versammeln begann und Mubaraks Sturz forderte, waren sie zunächst skeptisch. Sie sagten mir, erst als sie mich im Fernsehen sahen, zogen auch sie in die Hauptstadt, um zu protestieren. Das machte mich sehr glücklich. Die Fellachen werden ihr wieder gewonnenes Selbstvertrauen sich nicht mehr nehmen lassen.

Wieder gewonnenes ...?
Ja, das Selbstvertrauen, das sie schon im Kampf um die Durchsetzung der Agrarreformen unter Nasser gewonnen haben und ihnen unter Sadat und Mubarak genommen wurde. Kamshih beispielsweise hat seinerzeit weltweit Schlagzeilen gemacht. Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir wollten mit eigenen Augen sehen, was wir in unserem »revolutionären Dorf« erreicht haben. Wir zeigten ihnen unsere Kooperative und unser Kulturhaus. Satre erklärte, die Zeit der Leibeigenschaft sei vorbei. Er und wir haben uns geirrt.

Mubarak setzte die Politik der »Offenen Tür« fort, die Sadat unter dem Begriff »korrektive Revolution« zum Rückbau aller demokratischen Errungenschaften aus Nassers Ära begonnen hatte. 1992 wurde das »Gesetz Nr. 96« verabschiedet, das die Pacht immens erhöhte, Grundstückspekulationen zuließ und viele Bauern ihrer Existenzgrundlage beraubte. Riesige landwirtschaftliche Flächen wurden an Westkonzerne verkauft.

Und Ägypten wurde Monokultur aufgezwungen.
Unsere Bauern sollten statt ihrer traditionellen Produkte nur noch agrarische Rohstoffe anbauen, die man exportieren könne. Die Erlöse heimste das Regime ein, während die Fellachen teure, importierte Nahrungsmittel kaufen mussten. Eine Riesenintrige war das, ein schwerer Schlag gegen die einheimische Landwirtschaft. Auch genmanipulierten Mais sollten unsere Bauern anbauen. Und es wurden ihnen importierte Zusatzdüngemittel aufgezwungen, die die Böden kontaminieren und für die Menschen schädlich sind.

Was wollen Sie dagegen tun?
Wir müssen eine neue Agrarreform in Angriff zu nehmen und eine autarke Wirtschaft aufbauen zur Sicherung der Versorgung der gesamten Bevölkerung mit preiswerten und guten Lebensmitteln. Dazu gehört auch die Gründung landwirtschaftlicher Kooperative.

Wie steht es um die Lage der Frauen in Ägypten?
Wir haben eine starke Frauenbewegung. Nach der Revolution vom 25. Januar kann keiner mehr die ägyptischen Frauen ignorieren. Sie zeigten auf dem Tahrir-Platz starke Präsenz, ob Atheistin, Muslima oder Christin, Professorin oder Hausfrau, mit und ohne Kopftuch.

Aber wenn die Muslimbrüder die Regierung übernehmen?
Diese Bezeichnung schürt bei mir immer blankes Entsetzen. Die Mehrheit der Ägypter sind Muslims und haben nichts mit den Islamisten gemein. Auf dem Tahrir-Platz rufen sie: »Nieder mit Mursi!« Die Islamisten treiben Schacher mit der Religion, instrumentalisieren sie. - Um aber auf Ihre Frage zu antworten: Die Islamisten werden die Macht nicht an sich reißen können. Das Volk wird das verhindern. Salah sagte immer: »Die Revolution ist nur der Anfang.« Wir sind erst am Anfang unseres Kampfes für ein Leben aller Ägypter in Freiheit und Würde.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.