Die Strafe: Allein weiterleben

»Jasmin« von Jan Fehse

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: 3 Min.

Die eine hat ihr Kind getötet - der anschließende Suizidversuch misslang -, die andere soll im Gerichtsauftrag herausfinden, warum sie das tat und wie die soziale Prognose der Täterin aussieht. Haftgefangene und Gerichtspsychiaterin sitzen sich in einem Raum mit Kochnische und Kaffeemaschine gegenüber und sprechen über das Unaussprechliche. Fahrig, übermüdet, von der psychiatrischen Klinik entsetzt die Kindsmörderin. Manchmal nur mühsam beherrscht, aber geschäftsmäßig kühl bis zur Schmerzgrenze die andere, die Gutachterin mit ihrem dezenten Make-up und der Rollkragenrüstung. Vertrauen heischt die und die Einnahme der verordneten Anti-Depressiva.

Drei bis vier Sitzungen werde es dauern, bis sie bei der Schilderung der Tatnacht ankämen, kündigt sie an, und öffnet das Notizbuch. Die Täterin kann sich an die Tatnacht gar nicht mehr erinnern - nicht ungewöhnlich bei jemandem, »der sowas Heftiges wie Sie getan« hat, kontert die Gutachterin ungerührt. Und schildert schon mal, was die Tage der Exploration der Täterinnenpsyche so umfassen werden: einen Gang durch deren Leben, von der frühkindlichen zur vorschulischen und schulischen Entwicklung durch die Pubertät bis ins Erwachsenenalter. Berufliche Entwicklung, Bekanntschaften, Freundschaften, Familie, Kinder. Sozioökonomische Verhältnisse, Freizeit, Hobbys, Sucht, psychische Störungen, Konfliktkonstellationen.

Spätestens jetzt ist dem Zuschauer ebenso kalt wie der blasslippigen jungen Frau mit den müden Augen, die am Tisch der Psychiaterin das Seziergut abgibt. Die heißt Jasmin und gibt dem Kammerspiel den Titel. Einen Nachnamen hat sie auch, der kommt aber nur sporadisch vor, wenn sie sich in Hysterie geredet hat etwa und abgeführt wird, weil jedes weitere Reden ja nun unproduktiv wäre. Ansonsten sitzt sie schutzlos da vor der Frau Doktor mit ihrem Titel, ihrem geordneten Leben und den persönlichen Gründen, warum sie diesen speziellen Fall eigentlich lieber abgelehnt hätte.

Anne Schäfer, früher am Residenztheater München und zurzeit in Heidelberg auf der Bühne, spielt diese Titelheldin mit einer dünnhäutigen Dringlichkeit, einer so greifbaren Aura von Stolz und Angst und dem Gefühl des Alleingelassenseins in permanenter ökonomischer (und oft auch emotionaler) Überforderung, dass man sie schützend in den Arm nehmen möchte, trotz ihrer auch unter Berücksichtigung aller mildernden Begleitumstände letztlich schlicht monströsen Tat. Ohne ihre Tochter weiterleben zu müssen, sobald sie die näheren Umstände von deren Tod erst wieder erinnert, wird ihr ein Leben lang Strafe genug sein.

Wiebke Puls in der Amtspersonenrolle, lange Ensemblemitglied am Schauspielhaus Hamburg, dann bei den Münchner Kammerspielen, ist das perfekte Gegenüber, schroff, gesammelt - herzlos, möchte man fast meinen, bis man auch sie verstehen lernt. Ein radikales Gegengift jedenfalls gegen das manchmal anbiedernde Gefallenwollen der Täterin und die rohe Gefühlsflut, die eine Geschichte von so viel Elend sonst mit sich fortreißen könnte.

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