Wahl zwischen Pest und Cholera?

Wer es auch wird - der neue Präsident Ägyptens wird den Revolutionären fern stehen

  • Juliane Schumacher
  • Lesedauer: 3 Min.
Überraschend hatte es das ägyptische Verfassungsgericht noch einmal spannend gemacht. Sollte Stichwahlteilnehmer Schafik tatsächlich zwei Tage vor dem Urnengang disqualifiziert und die Wahl somit obsolet gemacht werden? Doch es entschied sich gestern, dies nicht zu tun. Dafür löste es das Parlament auf.

Am Donnerstagmittag sitzt das ganze Land vor den Bildschirmen. Polizei und Militär haben die Straßen abgesperrt, die zum Obersten Verfassungsgericht im Kairoer Stadtteil Maadi führen. Dort wird an diesem Tag über alles entschieden: Darüber, ob Ägypten in wenigen Tagen einen neuen Präsidenten haben wird. Und darüber, ob dieser Präsident Ahmed Schafik heißen darf - der letzte Premier und enge Vertraute des gestürzten Präsidenten Husni Mubarak.

Als um halb drei das Ergebnis bekannt gegeben wird, geht ein Aufschrei durch die Reihen Hunderter Demonstrierender vor dem Gerichtsgebäude und Tausender mehr auf dem Tahrir-Platz. Ahmed Schafik, verkündet das Gericht, darf Präsident werden. Das Gesetz, das es Mitgliedern des alten Regimes verbietet, für öffentliche Ämter zu kandidieren, sei verfassungswidrig und müsse gekippt werden.

Deutlicher hätte das Ergebnis kaum ausfallen können - deutlicher für das herrschende Militär und das alte Regime Mubaraks. Am Samstag und Sonntag findet in Ägypten die Stichwahl um die Präsidentschaft statt. Die Ergebnisse der ersten Wahlrunde waren ein Schock für Revolutionsbewegung: Vorne lagen der Kandidat der Muslimbrüder, Mohamed Mursi, und Schafik. Vor allem das Ergebnis von Schafik hatte Vorwürfe wegen Wahlbetrugs ausgelöst. Schafik, selbst Luftwaffengeneral, ist der Kandidat des Militärs, das seit dem Rücktritt Mubaraks im Februar 2011 über das Land herrscht. Und ein Mann des alten Regimes: Zehn Jahre lang Luftfahrtminister unter Mubarak, während der Revolution von diesem zum Premierminister ernannt, nach Protesten einen Monat später zur Aufgabe gezwungen.

Im April war ein Gesetz in Kraft getreten, das es Mitgliedern der Mubarak-Regierungen verbot, für öffentliche Ämter zu kandidieren. Mehrere Kandidaten wurden disqualifiziert, auch Schafik. Seinem Einspruch wurde aber stattgegeben; zu recht, wie das Verfassungsgericht gestern entschied. Die Wahl soll wie geplant stattfinden. Gleichzeitig verfügte es, dass das Wahlgesetz, nach dem ab November das Parlament gewählt wurde, verfassungswidrig sei. Auch das Parlament muss nun neu gewählt werden (Beitrag rechts).

Schock auf dem Tahrir-Platz. Dort haben Protestierende schon vor einer Woche wieder ein Camp errichtet, jeden Tag strömen Zehntausende dorthin. »Wenn sollen wir wählen?« fragt ein junger Protestierender. »Schafik, der Hunderte von uns hat umbringen lassen? Oder die Muslimbrüder, die uns verraten haben?« Schafik war Premierminister, als bezahlte Mörder am 2. Februar 2011 auf dem Tahrir-Platz Hunderte Demonstrierende töteten. Die Muslimbrüder wiederum haben der Revolutionsbewegung schon kurz nach Mubaraks Rücktritt den Rücken gekehrt.

Die vom Militärrat eingesetzte Regierung hat allen Staatsangestellten zwei Tage Urlaub versprochen und für die Wahltage die Bustickets verbilligt, um mehr Leute an die Urnen zu bringen. Im ersten Wahlgang war sie mit 46 Prozent gering geblieben. Mehr Legitimität wird das den Wahlen aber kaum bringen: Alle revolutionsnahen Präsidentschaftskandidaten, die im ersten Wahlgang ausschieden, haben ihre Anhänger zum Boykott aufgerufen, darunter der Linksnationalist Hamdeen Sabbahi, der nur relativ knapp hinter Schafik auf Rang drei einkam. Sie fordern zusammen mit den Protestierenden, dass die Wahlen abgesagt werden, dass das Militär sofort die Macht abgibt und eine Gruppe von revolutionsnahen Politikern einen zivilen Präsidialrat bildet. Diese Chance ist jetzt vertan. Dafür wird immer wahrscheinlicher, dass der Kampf um die Revolution einmal mehr auf der Straße ausgetragen wird. Ägypten stehen blutige Zeiten bevor.

Alles spricht derzeit dafür, dass Schafik die Wahl gewinnt. Er hat einen brachialen Law-and-order-Wahlkampf geführt, nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ein Gegner der Revolution ist und hart gegen die Bewegung vorgehen wird. Umgekehrt haben die Anhänger der Revolution angekündigt, sie würden niemals einen Mann Mubaraks als neuen Präsidenten akzeptieren - und heftige Proteste angekündigt. Wenn Schafik gewählt werde, heißt es in der Jugendbewegung, herrscht Krieg in Ägypten.

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