Zu oft zu laut

Gregor Gysi verlangt mehr Lärmschutz für Anwohner des Großflughafens Schönefeld

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

In rund 14 000 Fällen muss neu gerechnet werden. Der Lärmschutz der Anwohner des Großflughafens in Schönefeld genügt nicht den Vorschriften. Diese Meinung vertritt auch der Rechtsanwalt Gregor Gysi, seines Zeichens Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Dabei sind die genannten 14 000 Fälle nur die Spitze des Eisbergs, denn die meisten Anrainer haben sich mit der Flughafengesellschaft noch gar nicht über die Kosten von Schallschutzfenstern und Lüftungsanlagen geeinigt.

Gysi traf sich gestern im Potsdamer Landtag mit der brandenburgischen Linksfraktion. Dazu kam aus dem Berliner Abgeordnetenhaus der frühere Wirtschaftssenator Harald Wolf (LINKE). Wichtigstes Thema der Besprechung: Der Lärmschutz am Großflughafen in Schönefeld.

Mindestens 3,5 Milliarden Euro kostet der Bau des neuen Hauptstadtflughafens »Willy Brandt«. Lediglich 144 Millionen Euro waren ursprünglich dafür eingeplant, den Anwohnern Schallschutzfester und Lüftungsanlagen zu bezahlen, damit sie den Lärm bei geschlossenen Fenstern und Türen vielleicht doch halbwegs ertragen können. Auch für Gregor Gysi steht fest, dass diese Summe nicht ausreichen wird. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg entschied nämlich am Freitag, dass ein Lärmpegel von 55 Dezibel in den Häusern und Wohnungen nie überschritten werden darf. Das OVG ließ auch keine Rechtsmittel dagegen zu. Die Flughafengesellschaft vertrat bislang forsch die Ansicht, in den sechs verkehrsreichsten Monaten des Jahres dürfe es sechsmal täglich lauter werden.

»Null ist null - welche Überraschung!«, schmunzelte am Montag Brandenburgs Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser. Sie betonte, ihre Partei habe bereits vor der Gerichtsentscheidung die Auffassung vertreten, dass die sechsmalige Überschreitung des Maximalpegels »rechtswidrig« sei.

Die Sozialisten im Bundestag, im Landtag und im Berliner Abgeordnetenhaus haben sich darauf verständigt, von der Flughafengesellschaft zu verlangen, ihre unhaltbare Position aufzugeben. Den Antrag beim brandenburgischen Verkehrsministerium, sechsmal täglich mehr als 55 Dezibel Lärm zuzulassen, soll die Flughafengesellschaft schleunigst zurückziehen. Druck sollen die Gesellschafter des Flughafens - der Bund sowie die Länder Berlin und Brandenburg - machen.

Überdies hätte die Erlaubnis, wenn sie erteilt würde, weitreichende Folgen, meinte Gysi. Dann würde nach seiner Ansicht das gesamte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Planfeststellungsbeschluss des Flughafens nicht mehr gelten. Gysi forderte, dass es dabei bleibt: 55 Dezibel sind die Obergrenze, lauter dürfe es zu keinem Zeitpunkt werden. Er könne ja verstehen, dass die Flughafengesellschaft Geld sparen wolle - »aber nicht beim Lärmschutz!«, sagte der Politiker.

Gysi bekannte sich auch zu einem Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr. »Wenn man einen Flughafen so nah an Berlin baut, dann kann man ihn nicht so betreiben wie einen Flughafen in Sperenberg.« Ein striktes Nachtflugverbot gilt jedoch nach bisherigem Stand lediglich von 0 bis 5 Uhr. Das in Berlin und Brandenburg laufende Volksbegehren für ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr kann Gysi allerdings nur in Berlin unterschreiben. In Brandenburg, wo er aber sowieso nicht wohnt, würde er es nicht tun. Da gibt es zusätzlich nämlich noch eine Formulierung, die darauf abzielt, Flüge zu anderen Airports umzuleiten. »Welche sollten das sein?«, fragte sich Gysi. Der in Berlin-Tegel, der dann nicht geschlossen werden könnte, oder der in Leipzig? Kerstin Kaiser trieb diese Überlegung auf die Spitze und ergänzte: »... oder die dritte Startbahn in Tempelhof?« Dieser dritte Berliner Flughafen ist bereits vor Jahren gegen erhebliche Widerstände dicht gemacht worden. Die Standortfrage wollen die Sozialisten nicht wieder stellen, obwohl sie einstmals selbst dafür plädierten, den neuen Hauptstadtflughafen nicht in Schönefeld, sondern im weiter entfernten Sperenberg zu errichten.

Der Landtagsabgeordnete Rainer Genilke (CDU) hatte nach der OVG-Entscheidung den Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) aufgefordert, endlich zu veranlassen, dass nicht weiter Steuergelder für ungenügenden Lärmschutz zum Fenster hinausgeworfen werden. »Der Betrug am Bürger muss ein Ende haben«, sagte Genilke. Platzeck ist Vizevorsitzender des Aufsichtsrats der Flughafengesellschaft.

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