Musik ohne Messe
Die Berlin Music Week verabschiedet sich vom Branchentreff Popkomm
Eine Institution verabschiedet sich wohl endgültig aus Berlin. Die Popkomm, einst vollmundiger und stolzgeschwellter Branchentreff der Musikindustrie, findet dieses Jahr wieder nicht statt. Das gab es schon einmal im Jahre 2009. Da wollte die Musikindustrie den Rückzug der 2004 nach Berlin gezogenen Messe allerdings noch als »Protest gegen Internetpiraterie« kaschieren. Der wahre Grund war allerdings schon damals ein allgemeines Desinteresse an der antiquierten Form, Musik im Rahmen überdimensionierter Messestände vorzustellen.
Die schwache Resonanz auf die Wiederkehr der Popkomm im Rahmen der neuen Dach-Veranstaltung Berlin Music Week in 2010 und 2011 konnte diese Entwicklung nur belegen. Da ist es nur folgerichtig, dass die Music Week nun ohne den Business-Ballast in die dritte, vielversprechende Runde geht (5.-9. September). Die Popkomm selbst kommentiert den erneuten Abschied, nach dem sich eigentlich niemand mehr ernsthaft eine erneute Wiederkehr vorstellen kann, mit den dürren Worten, die Messe befinde sich »in konzeptueller Neuausrichtung«.
In solch permanenter Neuausrichtung befindet sich die Berlin Music Week eigentlich seit ihrer Gründung. In diesem Fall ist dies aber ein Glücksfall, sowohl für die geschäftlich als auch für die als Konsumenten Beteiligten - denn die Music Week wird immer schlüssiger, sei es als zwanglose Plattform für Manager und Labels um neue Geschäfte anzubahnen, sei es als Überblick für Journalisten, sei es als uferlose und facettenreiche Spielwiese für die Fans.
Projektleiter Björn Döring brachte bei der Vorstellung der diesjährigen Musikwoche am Montag die Gründe für den Popkomm-Niedergang auf den Punkt. Die wirklich interessanten Gespräche und Kontakte entstünden eben nicht am rausgeputzten Messestand, sondern »um drei Uhr Morgens beim Mexikaner, wenn man bis zu den Knöcheln in Bierdeckeln und Glasscherben steht«. Seine Eindrücke von der Musikmesse Midem in Cannes zeigen zudem, dass die Abkehr vom klassischen Branchentreff mit Häppchen und Glitzerlounge kein deutsches Phänomen ist: »Das hatte was von einer Beerdigung«, so Döring, der auch der Meinung ist, dass kein Mensch mehr die Leier von der gebeutelten Unterhaltungsindustrie hören will..
Um sich davon abzusetzen und in Berlin eben »kein Klassentreffen der Musikindustrie« (Döring) zu zelebrieren, setzt die Berlin Music Week laut Initiatoren in diesem Jahr voll auf die Künstler. »Das ist krisensicher, egal, wie sich die Industrie und die Vermarktungswege entwickeln«, hofft zumindest Döring. Außerdem soll dieses Mal geografisch alles etwas konzentrierter sein und trotz größer Veranstaltungsdichte leichter zu überblicken. Das soll die Beteiligten Verwerter einerseits und die Künstler andererseits natürlich nicht davon abhalten zusammenzukommen. Im Gegenteil - Dörings Meinung nach, und dem ist zuzustimmen, braucht man statt überdimensionierter, von Branchenriesen dominierter Kongresse doch einfach nur »einen W-LAN-Zugang und ein gutes Café«.
Und natürlich die richtige Atmosphäre mit der Möglichkeit, sich in kurzer Zeit ganz viele Popkonzerte anzusehen. Die entspannte Grundstimmung soll im Spreespeicher am Osthafen gegeben sein, wo das Festivalzentrum logieren wird. Hier findet nicht nur ein Großteil des Programms der neuen Entwicklungs- und Austauschplattform »Word on Sound« statt, auch soll der Spreespeicher ein Ort sein, um »Business zu machen«, »Networking zu betreiben« oder »Panels und Sessions zu lauschen«, wie das Festival verspricht, das doch eigentlich und erklärtermaßen den hochgestochenen englischen Fachjargon vermeiden will.
Ganz für die Fans reserviert ist dagegen das Berlin Festival. Mit Paul Kalkbrenner, The Killers, Sigur Rós oder Franz Ferdinand hochkarätig besetzt, wird es wie eh und je auf dem alten Flughafen in Tempelhof stattfinden. Eröffnet wird der Musikreigen im Tempodrom, wenn der RBB-Sender Radioeins seinen 15. Geburtstag mit Bands wie Archive und Budzillus feiern wird. Für den theoretischen Unterbau sorgt einmal mehr der Kongress »All2gethernow«.
Zum Abschluss wird im Admiralspalast der New Music Award verliehen, mit dem die jungen Programme der ARD vielversprechende Bands ehren wollen. Außerdem sind bei der Musikwoche Clubnächte und Talent-Workshops geplant.
5.-9. September, diverse Orte, www.berlin-music-week.de
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