Geld sparen und abschrecken
Leistungen für Flüchtlinge liegen deutlich unter dem Hartz-IV-Satz
Heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Rechtmäßigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes. Dieses legt fest, wie viele Sozialleistungen Asylbewerbern und Flüchtlingen zustehen. Sie erhalten deutlich weniger als Hartz-IV-Betroffene. Die Höhe wurde 1993 auf 80 Prozent der damaligen Sozialhilfesätze für Deutsche festgelegt und seitdem nie an die erhöhten Lebenshaltungskosten angepasst. Zudem sollen Flüchtlingen vorrangig Sachleistungen statt Geld gewährt werden. Sie bekommen dann entweder Esspakete oder Gutscheine, mit denen sie nur in bestimmten, oft teuren Geschäften einkaufen können und kein Wechselgeld ausgehändigt bekommen.
Viele Landkreise und sogar ganze Bundesländer haben inzwischen die diskriminierenden und nebenbei auch für die Verwaltung umständlichen Sachleistungen über Bord geworfen und zahlen Geld aus. Die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl schätzt, dass 80 000 Menschen von dem Gesetz betroffen sind.
Alle Experten sind sich einig, dass das Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig ist. Auch Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat das mehrfach eingeräumt, etwa in Antworten auf parlamentarische Anfragen der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping (LINKE) von 2010 und 2012 oder in einem Grußwort an eine Fachtagung in der Katholischen Akademie 2011. Untätig blieb sie trotzdem. Flüchtlingsorganisationen haben dafür nur eine Erklärung: Weil die öffentlichen Kassen damit bis zum Richterspruch Geld sparen - auf Kosten der Betroffenen.
Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde 1993 im Rahmen des sogenannten Asylkompromisses geschaffen. Ziel war es, Deutschland mit niedrigen Sozialsätzen und Sachleistungen für neu ankommende Asylbewerber abschreckend zu machen. Im Laufe der 1990er Jahre wurde das Gesetz auch auf große Teile langjährig hier lebender Flüchtlinge ausgedehnt.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu Hartz IV ist klar, dass die Begründung der Abschreckung für die Höhe von Sozialleistungen nicht verfassungsgerecht sein kann. Der pensionierte Bundesrichter Ralf Rothkegel sagt dazu: »Das physische Existenzminimum ist für alle Menschen gleich, unabhängig von ihrer Herkunft. Wenn die Bundesregierung die sozialkulturellen Anteile an den Sozialleistungen für Asylsuchende niedriger ansetzen will, muss sie nach dem Hartz-IV-Urteil begründen, wo der Bedarf geringer ist.« Also: Müssen Asylbewerber weniger telefonieren, benutzen sie seltener Verkehrsmittel oder brauchen die Kinder weniger Schulhefte?
Kläger in Karlsruhe sind ein Iraker und eine Kosovarin aus Essen, die seit Jahren hier leben. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hatte sich ihren Zweifeln angeschlossen, dass die Gelder zum Leben ausreichen und ob das Gesetz damit verfassungsgerecht ist. Die Richter reichten die Klage nach Karlsruhe weiter.
Die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl, die das Gesetz seit seinem Bestehen scharf kritisiert, kündigte an, heute vor dem Gebäude des Bundesverfassungsgerichts mit einer Aktion anschaulich zu machen, was es für Flüchtlinge bedeutet, von dem Gesetz betroffen zu sein.
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