S-Bahn zerschlagen?

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Klaus Just,Vorsitzender der Berliner Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, im nd-Interview über den Beschluss des Berliner Senats, Teile der Berliner S-Bahn auszuschreiben.
nd: Herr Just, am Dienstag wurde vom Senat die Ausschreibung der Berliner S-Bahn angekündigt. Sie sind dagegen. Warum?
Just: Weil ein trotz der bestehenden Probleme an und für sich funktionierendes System zerschlagen wird. Zwar gibt es bereits jetzt eine formale Trennung zwischen der Infrastruktur wie Gleisen, Signalen usw. und dem Fahrbetrieb, jedoch erledigt die S-Bahn in einem Geschäftsbesorgungsvertrag diese Aufgaben für die DB Netze, kann also auf dem kleinen Dienstweg alles koordinieren. Künftig müssten das die einzelnen Unternehmen des DB-Konzerns selbst in die Hand nehmen, mit den entsprechenden Reibungsverlusten.
Wir sind aber auch generell gegen eine Privatisierung. Das ist öffentliche Daseinsvorsorge, das soll die öffentliche Hand machen. Wie zum Beispiel die zu 100 Prozent staatseigene Deutsche Bahn (DB).

Was halten Sie davon, ein landeseigenes Unternehmen wie die BVG zu beauftragen?
Soweit ich weiß, ist auch SPD-Verkehrssenator Michael Müller kein großer Anhänger dieser Idee. Man schießt ja nicht gegeneinander, aber die BVG kann froh sein, dass alle auf die S-Bahn schauen.

Beruhigen Sie die Sozial- und Arbeitsbedingungen, die in der Ausschreibung des Senats für das S-Bahn-Teilnetz festgelegt sind?
Man muss sehen, was damit real gemeint ist. Es gibt ja durchaus verschiedene Verträge. Zum Beispiel den niedrigeren Branchentarifvertrag oder den höheren des DB-Konzerns. Ich bin auch irritiert, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro des Berliner Vergabegesetzes erwähnt wurde.

Sie hatten nicht mit einer derartigen Entscheidung gerechnet?
Senator Müller hatte bei einer Betriebsversammlung der S-Bahn am vergangenen Donnerstag noch erklärt, dass er nicht mit einer Entscheidung vor Mitte bis Ende des Sommers rechne. Es läuft noch die von der SPD-Fraktion in Auftrag gegebene rechtliche Prüfung, ob eine Ausschreibung des gesamten Betriebs möglich ist. Daneben liegt das S-Bahn-Volksbegehren beim Landesverfassungsgericht ebenfalls zur juristischen Prüfung, die spätestens bis Jahresende abgeschlossen sein soll. Diese Schaffung von Fakten ist ein Schlag ins Gesicht jener 30?000 Berliner, die für das Volksbegehren unterschrieben haben. Außerdem gibt es SPD-Parteitagsbeschlüsse, dass komplett ausgeschrieben werden soll.

Die EVG sagt, dass es sich um ein »fadenscheiniges Argument« handele, dass schnell entschieden werden müsse.
Müller sagte selbst in seiner Erklärung, dass die neu zu beschaffende Fahrzeugflotte erst 2021 komplett zur Verfügung stehen würde. Wie soll das in den dazwischen liegenden Jahren laufen? Die DB müsste dem Ausschreibungsgewinner Wagen zur Verfügung stellen. Was ist, wenn sie nein sagt? Ein neuer Betreiber müsste auch die Wartung regeln, also entweder ein neues Werk bauen oder sich ebenfalls mit der DB darüber einigen. Die Termine, zu denen schnelles Handeln erforderlich gewesen wären, sind vor Jahren verstrichen, jetzige Verzögerungen ändern die Gesamtsituation nicht mehr großartig.

Sie glauben also nicht, dass der Senat die Folgen seines Handelns überblickt?
Nein, wie sollen sie auch, die machen ja keine Eisenbahn.

Klaus Just ist Vorsitzender der Berliner  Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft.
Klaus Just ist Vorsitzender der Berliner Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft.
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