Fair Wohnen auch in Babelsberg

TLG-Genossenschaft hat bislang über 500 Mitglieder geworben

  • Wilfried Neiße und Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

30 Bundestagsabgeordnete der LINKEN haben die Genossenschaft »FairWohnen« gegründet. Das Ziel: Die bundeseigene Treuhandfirma TLG Wohnen GmbH samt ihrer 11 500 Wohnungen zu kaufen und damit zu verhindern, dass ein Finanzhai den Zuschlag bekommt. Zunächst seien Menschen in die Genossenschaft eingetreten, die das Vorhaben sympathisch fanden, berichtet die Aufsichtsratsvorsitzende Heidrun Bluhm. Es waren Politiker, Angehörige und Freunde der Linkspartei. Jetzt seien es aber verstärkt die Mieter, die dazu kommen.

Über 500 Genossenschaftsmitglieder sind inzwischen beisammen. 1000 Mitglieder sollten es bis Ende Juni sein. Das hatten sich die Gründer der Genossenschaft vorgenommen. »Es gibt jedoch nichts, das uns zwingt, 1000 Mitglieder zu haben«, sagt Heidrun Bluhm. Aber trotzdem: »Je mehr Mitglieder eintreten, umso besser sind die Chancen im Bieterverfahren.« Und der Juni sei ja auch noch nicht vorbei.

Die 11 500 Wohnungen befinden sich in 42 verschiedenen Orten in allen ostdeutschen Bundesländern, davon in Brandenburg allein 973 Wohnungen in Strausberg sowie weitere in Hennigsdorf, Potsdam, Stahnsdorf und Ludwigsfelde sowie in Senftenberg, Großräschen und Lauta. Wo bislang die meisten Mieter Mitglied geworden sind, verrät Bluhm nicht. Das sei intern, sagt sie.

Die Bundestagsabgeordnete Heidrun Bluhm ist in der Linksfraktion für die Wohnungspolitik zuständig. Derzeit reist sie umher, stellt die Genossenschaft vor, wirbt Mitglieder. Heute Abend um 18 Uhr gibt es beispielsweise eine Informationsveranstaltung in der Fachhochschule Erfurt. Am Mittwochabend war Potsdam dran. Hier fanden sich 60 Interessierte im Hotel »Mercure« ein.

In der 17. Etage und also »ausgerüstet mit den besten Überblick«, den Potsdam derzeit zu bieten hat, zeichnete eingangs der LINKE-Landesvorsitzende Stefan Ludwig persönlich Anteile an der Genossenschaft. Er begründete das damit, dass er es gut finde, »dass Wohnungen nicht immer nur dem Verwertungsgedanken unterliegen«. Ludwig teilte mit, dass sich die meisten Abgeordneten der Linksfraktion im Landtag ebenfalls finanziell beteiligt haben.

Die 11 500 Wohnungen möchte der Bund meistbietend verkaufen und damit auch noch dieses alte DDR-Volkseigentum los werden. Der Schätzwert der Wohnungen beläuft sich auf 570 Millionen Euro, sagte Heidrun Blum. Sie wies auf Erfahrungen anderer Mieter bei der Privatisierung ihrer Quartiere hin. Auf einen Teil warte die Luxussanierung und auf andere die gezielte Vernachlässigung der Wohnungen. Doch vor Mieterhöhungen würde auch die zweite Variante nicht prinzipiell schützen. Eine Erhöhung der Nettokaltmiete um 20 Prozent wäre rein rechtlich alle drei Jahre möglich, hat Bluhm gewarnt. Dem soll die Genossenschaft einen Riegel vorschieben, wenn sie den Zuschlag erhält. Die Mieter wären als Genossenschafter in der Lage, gemeinsam selbst darüber zu entscheiden, was aus ihrem Zuhause wird. Die Satzung sehe keine schwerwiegenden Alleingänge von Vorstand und Geschäftsführung vor, versicherte Bluhm. Einem eventuellen Verkauf müssten beispielsweise 75 Prozent der Mitglieder zustimmen, bevor er in die Wege geleitet werden könnte.

Dafür, dass es in Potsdam lediglich 135 TLG-Wohnungen im Stadtteil Babelsberg gibt, war das Interesse an der Veranstaltung sehr hoch. Was die Mitgliedschaft kosten würde, welcher Vorteil den Mietern durch eine Mitgliedschaft entstünde und welche Chancen das ganze Projekt eigentlich habe, wurde natürlich gefragt.

Es wurde kein Zweifel daran gelassen, dass es sich hier um einen aufwändigen Versuch handle, die Wohnungen überhaupt erst einmal zu bekommen. Die Genossenschaft müsse fünf Prozent des Buchwertes als Sicherheit hinterlegen, sei aber bei Banken mit dem Projekt auf Interesse gestoßen, hieß es. Sollte es danebengehen, würden die Anteilszeichner ihr Geld abzüglich bescheidener Aufwandsgebühren zurückerhalten.

Die Treuhandnachfolgerin TLG ist wach geworden und hat den Mietern in einem Brief versichert, dass sie auch nach einer Privatisierung vor Luxussanierungen angeblich sicher seien. Außerdem solle Wohnrecht behalten, wer über 60 Jahre oder schwerbehindert sei. Die Wohnungen, um die es geht, sind derzeit ganz gut vermietet. Es gibt wenig Leerstand. In Potsdam kommt hinzu, dass dort eine regelrechte Wohnungsnot herrscht. Der Leerstand in der Landeshauptstadt liegt bei lediglich 1,8 Prozent. Der Wohnungsbau konnte mit dem anhaltenden Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten.

Die Mehrzahl der TLG-Mieter in Potsdam sind heute Rentner, 75 Jahre und älter. Sie müssen überlegen, ob sie noch in eine Genossenschaft eintreten wollen, wobei es möglich wäre, die erworbenen Anteile zu vererben oder die Mitgliedschaft wieder zu kündigen, falls einmal der Umzug in ein Altenheim angeraten erscheint.

Die Genossenschaft betont, dass sie niemanden überfahren wolle und jetzt gleich gar keine Eintrittserklärungen entgegen nehmen würde. So blieb Stefan Ludwig der einzige, der im Hotel »mercure« Anteile zeichnete - und er hatte ja die Zeit gehabt, sich das vorher zu überlegen. Den übrigen Besuchern der Veranstaltung wurde geraten, sich zunächst die Satzung ein- oder zweimal gründlich durchzulesen, mindestens eine Nacht darüber zu schlafen, Nachfragen zu stellen, vielleicht mit den Kindern zu reden und am Ende auch zu überlegen, ob sie das Geld dafür übrig haben.

Die Eintrittsgebühr beträgt 105 Euro plus zehn Geschäftsanteile im Werte von je 51,13 Euro, zusammen also 616,30 Euro. Wenn FairWohnen die TLG-Wohnungen tatsächlich erhält, sind - abzüglich der Kaution - 51,13 Euro für jeden Quadratmeter zu entrichten. Bei einer 65 Quadratmeter großen Wohnung wären das rund 3300 Euro, rechnete Vorstand Joachim Kadler vor. Wer nicht in die Genossenschaft eintrete, dürfe einfacher Mieter bleiben. Doch wenn später Wohnungen frei werden, sollen sie nur noch an Genossenschafter gehen.

Genossenschaft »FairWohnen«, Franz-Mehring-Platz 1, 10 243 Berlin, Tel.: (030) 29 78 33 33, tlg-fairwohnen.de

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