Minimalismus aus der Kiste
Bridge Markland vermischt in »räuber in the box« klassische Dramatik mit Popzitaten
Kann man klassische Dramatik mit Popmusik-Zitaten auf die Bühne bringen? Man kann. Besser: Bridge Markland kann. Das Urgestein der freien Berliner Theater- und Performance-Szene nimmt sich seit einigen Jahren schon sprachgewaltige Dramen aus Sturm & Drang, Klassik und Romantik vor. Sie streicht sie ein, lässt die Texte von befreundeten Kollegen sprechen und füllt mit diesen Stimmen den Raum um einen kleinen Pappkarton. In den kriecht sie manchmal selbst, holt daraus Puppen und Requisiten hervor und inszeniert damit - unter meist tonlosem Mitsprechen der aus dem Off eingespielten Texte - das ganze Schauspiel. Das ist Minimalismus pur, der allerdings schon in den 90er Jahren von Manfred Meihöfer auf äußerst vergnügliche Höhen getrieben worden war. Bediente sich Meihöfer meist aus dem Universum von Gummi & Plüsch, so hat sich Markland für ein Crossover aus Barbie, Disney und Original Erzgebirgsnussknacker entschieden. Auch das ist eine gute Wahl.
Marklands genuiner Beitrag zu diesem verspielten Minimalismus ist nun, dass sie kurz angespielten Musiktiteln aus Punk- und Düsterrock, Schlager und Heavy Metal, Country und Chanson und zudem noch einigen Filmmusiken eine Art Echo- und Kommentarfunktion zukommen lässt. Dies ist durchaus ein Gewinn. Figuren und Stimmungen werden dadurch akzentuiert. Ein früher Höhepunkt bei ihrer jüngsten Produktion »räuber in the box« (nach Schillers »Die Räuber«) ist etwa, wenn Rammstein zu den finsteren Plänen des bösen Moor-Bruders Franz röhrt: »Ich will dass ihr mir vertraut. Ich will dass ihr mir glaubt. Ich will eure Blicke spüren. Ich will jeden Herzschlag kontrollieren.« Schön auch die Räubernummer im Bade. Ein knappes halbes Dutzend handgroße Puppen wird da in einen improvisierten Whirlpool gesteckt, während Ennio Morricones Mafia-Soundtrack in Heinos Variante des alten Bauernkriegslieds »Wir sind des Geyers schwarzer Haufen! Wir woll'n mit Pfaff' und Adel raufen!« übergeht und auch die alten Recken von DAF mit »Verschwende deine Jugend« zu Worte kommen.
Ein bisschen schwächer wird die Lied-Puppen-Stimmen-Collage bei diversen Liebesszenen im Stück; hier griff Markland zu sehr in die Kitschkiste mit Caterina Valente & Co. Aber das blutrünstige Ende ist wieder sehr schön mit Italo-Western-Komponist Morricone auserzählt und mit Whitney Houston emotional angereichert.
Einige Songs hätten länger laufen können, um Emotionen nicht nur anzureißen, sondern sie zu etablieren. Aber das sind nur kleine Mäkeleien an einem prachtvollen Konzept und dessen souveräner Umsetzung.
Am Ende hat man eine Klassikerinszenierung besser überlebt als auf mancher großen Bühne, wo entweder längere Szenen den Staub aus den betagten Texten ins Auditorium pusten oder das inszenatorische Aushärten, Verfremden und Neukombinieren nur klappernde Theaterskelette oder sklerotische Hybriden hervorgebracht hat. Die Spielstätte im Stadtbad Steglitz hat mit dieser Klassik-Version aus dem Pappkarton zweifellos ein richtiges Zugpferd gewonnen.
Bis 30.6., Do.-Sa., 20 Uhr, Stadtbad Steglitz, Eintritt 18, ermäßigt 12 Euro
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