Der Effekthascher

Politische Installationskunst von Alfredo Jaar in drei Museen

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein hungerndes sudanesisches Kind möchte sich mit letzter Kraft zur Essensausgabe schleppen, schafft dies aber nicht. In grausigem »Optimismus« lässt sich daraufhin ein Geier neben dem hilflosen Geschöpf nieder. Das Foto dieses apokalyptischen Ensembles bescherte dem Fotografen Kevin Carter 1993 den Pulitzer Preis - löste jedoch auch eine Welle der Empörung aus. Die richtete sich aber nicht gegen all die Zeitungen weltweit, die das Bild gedruckt hatten, sondern gegen Carter. Der brach unter den Vorwürfen, ebenfalls wie ein Geier auf seine Elendsmotive zu lauern, zusammen und beging Suizid.

Der chilenische Konzeptkünstler Alfredo Jaar hat die Geschichte des zur Ikone stilisierten Bildes und seines Fotografen in einer intensiven Installation erlebbar gemacht. Bis in den Herbst zeigen die Berlinische Galerie, die Alte Nationalgalerie und die Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) eine Retrospektive des Meisters des politischen Showeffekts.

Aus dem Dunkel der oben beschriebenen Videoinstallation kommt man als Betrachter nicht heraus, bevor die von ihr beherbergte Folge von Untertiteln in ein schockierendes Blitzlichtgewitter mündet - und das berühmte Pressefoto für Sekundenbruchteile zu sehen ist.

Bilder - gezeigte und nicht gezeigte - haben es dem 56-Jährigen angetan, der es seit vier Jahrzehnten vermag, politische Anliegen in einfache und knallige Ästhetik zu verpacken. Bereits in Chile unterlief er die Pinochet-Zensur, klebte im erstarrten Land Plakate mit der Aufschrift »Sind Sie glücklich?« oder ließ Zeichnungen vom zerstörten Prädisentenpalast anfertigen. Eine andere Arbeit zeigt, wie der 11. September 2001 den 11. September 1973 aus dem kollektiven Gedächtnis tilgte.

Großen Raum nehmen in der Berlinischen Galerie die Arbeiten zum Völkermord in Ruanda in den 90er Jahren ein. Wie so oft bei Jaar überschreiten sie einerseits die Grenze zur etwas platten Medienkritik, sind andererseits in perfektem, fast schon glattem Minimalismus verpackt. Da sind vor allem die »Augen der Gutete Emerita«. Jene Mutter hat in Ruanda den Mord an ihrer Familie mit angesehen. Angeregt durch die Blindheit der Weltgemeinschaft gegenüber dem Leid der ruandischen Bevölkerung, lichtete Jaar nur die Augen Gutete Emeritas ab - und ließ das Dia eine Million mal abziehen und auf einem Lichttisch aufhäufen. Der Betrachter wühlt sich so durch Zeugen des Grauens, das er selber und die westlichen Medien nicht wahrnehmen wollten, blickt in die Augen, die statt seiner hingesehen haben.

Bilder, und seien sie noch so grausam, nur zu zeigen, kann aber auch kontraproduktiv sein. Und so verpackte Jaar zahllose seiner unerträglichen Bilder aus Ruanda in Kisten und verbietet dem Betrachter sie zu sehen. Ein anderes Mal leitet er die Besucher durch einen finsteren Gang, um sie urplötzlich mit einer gleißenden Lichtwand - und ihrer eigenen plötzlichen Blindheit - zu konfrontieren.

Unter übertriebener Bescheidenheit leidet Jaar nicht, wie sein etwas anmaßender Ausstellungstitel »Ästhetik des Widerstands« belegt. Andererseits trifft die Überschrift das »Problem« mit dem Künstler. Die glatte, teils poppige, teils gar kitschige Ästhetisierung, die Jaar praktiziert, erscheint den Themen oft nicht angemessen. Andererseits verschafft diese Strategie der ansehnlichen Vereinfachung gerade den politischen und frustrierenden Themen Zugang zu den Hirnen.

Berlinische Galerie (bis 17.9.), Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) (bis 19.8.), Alte Nationalgalerie (bis 16.09), Infos unter www.berlinischegalerie.de

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