Verachtet, vernichtet und verleumdet

Friedrich II. von Preußen und Polen - ein ambivalentes Verhältnis, das bis in die Gegenwart wirkt

  • Daniela Fuchs-Frotscher
  • Lesedauer: 4 Min.

Friedrich II. würde sich wohl in seinem Grab in Potsdam umdrehen, wüsste er, dass ca. 70 Prozent des einstigen preußischen Territoriums heute in Polen liegt, so auch Lutynia. In diesem schlesischen Ort, der einmal Leuthen hieß, hatte während des Siebenjährigen Krieges Friedrich 1757 in einer blutigen Schlacht das österreichische Heer besiegt. Die Beschlüsse des Potsdamer Abkommens mit der Festlegung der deutsch-polnischen Grenze an Oder und Lausitzer Neiße im August 1945 machte Polen auch zum Erben der architektonischen Überreste Preußens, u. a. der Festungen von Küstrin/Kostrzyn, Neiße/Nysa, Graudenz/Grudziadz sowie Silberberg /Srebna Gora und des Netzekanals.

Friedrich II. gilt den Polen als Totengräber ihrer Heimat. Der Preußenkönig hatte 1772 erheblichen Anteil daran, dass ihr Land das erste Mal zwischen den europäischen Großmächten Preußen, Russland und Österreich aufgeteilt wurde und letztlich (einige Jahre nach seinem Tod) gänzlich von der politischen Landkarte verschwand - für 123 Jahre. Die öffentliche Wahrnehmung und Erinnerung an den berühmtesten Preußenkönig steht in Polen denn auch großteils konträr zu dessen Bild in Deutschland. Es scheint sich nicht allzu viel im Urteil der Polen über den »Alten Fritz« geändert zu haben, seit dieser in einem 1872 erschienenen polnischen Gedicht als »Plünderer der Länder und Beschmutzer der Menschheit« verspottet wurde.

Erste Kontakte zu Polen hatte der junge Kronprinz 1728 und 1730, als er den prunkvollen sächsisch-polnischen Hof Augusts des Starken, der zugleich König von Polen war, besuchte. Friedrichs dortige Erlebnisse standen im strengen Gegensatz zu Erziehung und Drill, die er daheim bei seinem Vater, dem Soldatenkönig, durchleiden musste. Überliefert sind erste sexuelle Erfahrungen, die er mit der um einige Jahre älteren Polin Anna Urszula Orszelska, einer leiblichen unehelichen Tochter Augusts des Starken, machte, sowie eine Geschlechtskrankheit des Prinzen. Es folgten Bestrafungen und Schläge des Vaters. 1730 muss der junge Friedrichs der Hinrichtung seines Jugendfreundes Hans Hermann von Katte in der Festung Küstrin beiwohnen, sein Eigensinn sollte gebrochen werden. Doch es verstärkte sich nicht nur sein Hass auf den Vater. Auch auf sächsische und polnische Eliten, die er zunehmend verachtete.

1731 schrieb Friedrich erstmals darüber, dass Preußen eine Aneignung polnischer Gebiete ins Auge fassen müsse. Er beklagte, dass die preußischen Länder so zerschnitten sind, und nannte das ganze östliche Europa eine Wüste. »Vielleicht taugt dieses Land nicht zum Denken«, urteilt der Kronprinz arrogant über die Nachbarn.

1740 wurde Friedrich König von Preußen. Die erneute Eroberung Schlesiens 1745 ist das Eintrittsbillett in die Riege der europäischen Großmächte. Friedrich setzte Polen mit einem Zollkrieg unter Druck und überschwemmte das Land mit Falschgeld.

Bereits 1752 setzte er sein politisches Testament auf. Die Aneignung Westpreußens, das zum Königreich Polen gehörte, wurde ihm ein strategisch wichtiges Ziel; die Landverbindung zwischen Pommern und Ostpreußen machte er jetzt zu einer Staatsangelegenheit von vorrangigem Interesse. Dass die Okkupation ihm letztlich gelang, verdankte er maßgeblich dem Ableben der russischen Zarin Elisabeth. Deren Nachfolger erwiesen sich als Freunde Preußens und unterstützten Friedrichs hegemoniale Ansprüche. Preußen erhielt nach 1772 Westpreußen, allerdings ohne Danzig und Thorn, zugesprochen.

Polen war eine Wahlmonarchie mit einer schwachen Exekutive. Reformen wären dringend notwendig gewesen. Das erleichterte den Gegnern, das Land zu okkupieren. Zur Schwäche Polens hatte auch das sogenannte Freie Veto beigetragen, das die Einstimmigkeit bei der Annahme von Gesetzen im Sejm verlangte. Gegen Reformen hatten untereinander rivalisierende polnische Magnatengeschlechter opponiert. Sie konnten in der Regel auch nach den Teilungen ihres Landes ihre Güter behalten. Mitglieder der mächtigen Familie Radziwills machten beispielsweise später am preußischen Hof Karriere.

Friedrich II. kreierte negative Klischees über Polen, darunter den Begriff von der »polnischen Wirtschaft«. Daraus erwuchs ein vorurteilsbeladenes Feindbild mit fatalen Folgen. Stereotype belasten die polnisch-deutsche Nachbarschaft noch bis in die Gegenwart hinein.

Irritationen löste im Bruderbund DDR und Volksrepublik Polen 1981 die Aufstellung des alten Friedrich-Denkmals von Christian Daniel Rauch Unter den Linden in Berlin aus. Vor allem, weil sein Ritt gen Osten geht. Ein enger Mitarbeiter von General Wojciech Jaruzelski, des damaligen Ministerpräsidenten, notierte am 16. November 1984 nach einem eintägigen Staatsbesuch in der DDR : »Indes bewahrt sich die DDR alle Traditionen preußisch-deutscher Tugenden, die sie pflegt und entwickelt: Disziplin, Ordnung, den Hegelschen ›Staatsgeist‹ ... Sicherlich muss man mit diesem Hintergrund den Rückfall in das Preußentum, den Kult um Friedrich den Großen und eine Reihe uns überraschender, aber gleichzeitig wenig bekannter Tätigkeiten der DDR-Führung ... betrachten«.

Seit einigen Jahren ist in Polen eine aktive Auseinandersetzung mit der Lokalgeschichte, so auch mit der preußischen, zu beobachten. Lutynia erinnerte 2007 beispielsweise in einer nachgestellten Schlacht an den Sieg Friedrichs II. bei Leuthen. Von diesem Kostüm- und Kriegsspektakel sind Ausschnitte auf youtube zu sehen.

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