Ekstase, Elend

Nun als DVD: Film über Thomas Brasch

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Thomas Brasch. Große Augen. Sie staunen, fressen Welt, sie könnten direkt herkommen aus dem Schlimmsten, was das 20. Jahrhundert sehenden Augen aufzwang. Allen. Juden mehr als allen.

Der Kino- und Fernsehfilm von Christoph Rüter, »Brasch. Das Wünschen und das Fürchten«, jetzt als DVD erhältlich: Du siehst die Euphorie, das Elend, die Ekstase, das Entgrenzte einer poetischen Gabe, die nicht anders kann, als gegen die Zeit zu stehen. Du siehst Brasch und fühlst die unglücklichen Dichter aller Epochen. Die Unpraktischen, die Unbenutzbaren, die Unkäuflichen, die Unbegabten für Einsicht, Ordnung, Schweigepflicht. Die nicht nur einen Bruchteil ihrer Erlebnisfähigkeit zu tatsächlichem Erleben nutzen. Die nicht bloß die Strichfassung ihrer Sehnsüchte leben.

Ein Unbehauster, daheim aber in den großen, unerfüllten Möglichkeiten jenseits von Machtfantasien. Er schrieb, er filmte, er wühlte sich ins Theater. Man lobte ihn gern und mied ihn noch lieber. Zu sperrig der brachiale Kerl, Baals Verwandter, zu sehr mit dem Schmutz der Wahrheit beschäftigt. Wo sich Goethe einst den Lenz vom Leibe hielt, da nahm Claus Peymann einen Brasch in den Adel einer Arbeitsheimat; ein Weg, der von Bochum ans BE führte. Der Verschleiß, schließlich das Sterben wurden mitgenommen, wie man eine lästige Gewohnheit mitnimmt auf die Reise zum Herz der Finsternisse; Sterben ist die lästigste Gewohnheit der Gattung, »aber nur das Beispiel zählt, der Tod hat nichts zu bedeuten«. So Heiner Müller, der von Brasch sagte, was er von den Sirenen sagte: Man kann nur von ihnen lernen, wenn man ihnen zuhört.

Brasch: DDR, Gefängnis wegen Prag 1968, Vertreibung, der Westen als Fluch, die Wiedervereinigung als Verstärkung des Fluchs, Fremdheit als ewiger Höhenflug und Niederwurf. »wo ist man woanders/ wo ist man denn anders?« Eine Existenz (und nun ein Film) gegen diese Mehrheits-(Über-)Lebenstechnik, für eindeutige Welt-Erklärungen anfällig zu sein, sich einrichten zu können; eine Existenz (und nun ein Film) gegen das lebensrettende Talent, just das, was man tut, von dem zu trennen, was man denkt. Brasch ging im eigenen Leben auf und daher unter - weil er die Welt nie lebte, wie sie ihn gern hätte.

Christa Wolf: »Er ist in England geboren, seine Eltern, Kommunisten, Juden, lebten dort im Exil, der Sohn wächst in der DDR auf, von seinem zehnten Jahr an eine Zeitlang in der später aufgelösten Kadettenanstalt. Wie Kleist. Merkwürdiger Zufall. ›Eine herrschende Klasse, an Erhaltung und Zementierung des von ihr geführten Staates arbeitend, entledigt sich ihrer Kinder und überantwortet deren Erziehung der von ihr bestellten Bürokratie.‹: Brasch über ›Die Verwirrungen des Zöglings Törleß‹ von Musil. Der eigene Sohn, fährt Brasch fort, ›im Internat zum blutig geräderten Ödipus heruntergekommen und aufgestiegen, werde im nächsten Krieg als Offizierswerkzeug zerbrechen, oder er werde den väterlichen Staat - beschreiben.‹« Unbillige, allzu billige Schlüsse scheuend, so Christa Wolf weiter, »kann ich doch diese barsche und genaue Äußerung über gerade diesen Gegenstand nicht zufällig nennen.«

Brasch (1945 bis 2001): den Drogen näher als der Disziplin. ein »leute wachmachender und dann verstoßender mensch, wo bist du jetzt? wir brauchen dich«, so schrieb Lebensgefährtin Katharina Thalbach. Er ließ sich die Anarchie nicht austreiben, gegen die das Herrschende seine Dogmatik schickte; er spie mit der Trauer des Nichtbegreifenkönnens auf die großen ausgerollten Fahnen, diese Einladung, Horizonte und also Weite zu vergessen. Braschs Werk: »Ich habe so manche Linke gehört, die sich mokieren, dass das Buch ›Vor den Vätern sterben die Söhne‹ im Rotbuch-Verlag erschienen sei, es sei doch nicht ›sozialistisch‹. Man braucht dem nichts hinzuzufügen. Die deutsche Misere ist eine linke Misere« (Rudi Dutschke, 1977).

Der Erzählungsband »Vor den Vätern sterben die Söhne«, so Peter Handke, »wird bleiben als eine Faust voll von Steinchen und Samenkörnchen in den Wind der Geschichte geschmissen, schütteres Kornfeld, zum Lesen.«

● Brasch. Das Wünschen und das Fürchten. Ein Film von Christoph Rüter. DVD. 92 Min., 15, 90 Euro

● Erhältlich auch über den nd-Bücherservice Tel. 030-29781-777

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