An die Arbeit: »Luckzuck!«
»Der Aufstand der Glückskekse« in der Neuköllner Oper
Zunehmend pfeift die Neuköllner Oper auf Political correctness, anderen Bühnen damit weit voraus. Die neueste Produktion ist wieder frech und witzig. In »Der Aufstand der Glückskekse« geht die Reise nach China im Jahr 2030. Das alte Europa? Vergessen. Die Rettungsschirm-Chose, die man in der chinesischen Offenbachiade von Chris Rudolph (Text) und Andrew Hannan (Musik) die größte Komödie der Nachkriegszeit nennt, ließ nur Deutschland und Frankreich übrig. Dann kam China und sorgte für schwarze Zahlen. Wer nicht im deutschen Sojabohnenanbau ackern will, haut ab ins Ausland.
Die Studiobühne des Neuköllner Musiktheaters mutiert in der Inszenierung von Gustav Rueb zur chinesischen Glückskeksfabrik. Das Fließband der Versandabteilung gibt unbarmherziges Tempo vor. Irgendwann reicht es den Arbeitern. Sie rebellieren. Allerdings verheimlichen sie voreinander, dass sie Deutsche sind. Schließlich sind die ungeliebten, sich nicht integrierenden Gastarbeiter aus dem alten Europa in China als »Butterstinker« verschrien. Vorbild der Geschichte, in der letztlich das Heimweh siegt, ist Jacques Offenbachs Operette »Ba-ta-clan« von 1855 mit Fantasie-Chinesisch. Sie spielt am Hofe eines fiktiven Kaiserreichs Mitte des 19. Jahrhunderts mit eingewanderten Franzosen und parodiert Zustände bei Hofe und Militarismus.
Von heutigen Zuständen ausgehend - China wappnet sich tatsächlich bereits gegen illegal im Land arbeitende Ausländer - sind die Dinge nun in die Zukunft gehend zugespitzt. Haarsträubende Arbeitsbedingungen, denen echte Chinesen im Stück längst den Rücken kehrten, werden karikiert. Zwölf Stunden täglich gebe man den Leuten ein Dach überm Kopf. Jetzt forderten sie einen Pausenraum, ohne dass sie Pausen hätten, regt sich Vorarbeiter Hung auf. An die Arbeit: »Luckzuck!« Mitunter wird Text aus einem Glückskeks zweckdienlich benutzt. Weil es so gut passt, nahm Texter Rudolph mit »Glücklich ist, wer vergisst...« auch Anleihe bei der »Fledermaus« von Strauß.
Opernsänger Dejan Brkic setzt als Vorarbeiter ein unnachahmlich feistes Grinsen auf, wenn er zusammen mit der Fabrikchefin Ai (Nini Stadlmann) die aufsässige Arbeiterin Li (Alexandra Schmidt) und ihren Kollegen Ma (Nicolas Heiber) antreibt. Durch das Fantasie-Chinesisch besonders reizvoll sind die Quartette und Duette in dem einstündigen Einakter arrangiert, stimmlich am anspruchsvollsten die Soli der Li. Spezielles Kampftraining der Sänger zahlt sich in einer imposanten Zeitlupenszene aus.
Immer neue Pakete mit Glückskeksen kommen über das Band aus einem Drachenmaul. Alexandre Corazzola schuf das Bühnenbild komisch und praktisch zugleich. Auf dem Drachenkopf begleitet Andrew Hannan, der schon zum neunten Mal an der Neuköllner Oper mitarbeitet, die Sänger mit der Wersi »Helios«, einer elektronischen Orgel. Eine ausgefallene Idee, dieses »Orchester«, das in Heimwehszenen sogar einen bayerischen Schuhplattler anstimmt.
Übermütig sind die mitunter Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Texte. So genannte Weisheiten werden im Sprachspiel angepasst. »Sich Legen blingt Segen«, meinen die Chefs. Doch die Arbeiter wollen ans »Luder«. Sie »übelnehmen« die Macht. Nachdem sich die falschen Chinesen allesamt gegenseitig entlarvt haben - wie in Offenbachs Original die Franzosen - fallen die blauen Arbeitsanzüge und schwarzen Perücken von den blonden Menschen ab. Bloß nach Hause! Nur einer bleibt...
Die Neuköllner Oper bleibt in der kommenden Spielzeit mit dem Arbeitstitel »Zugang zur Welt« am politischen Leben. Nach dem diesjährigen Athen-Gastspiel mit »Yasou Aida« kommt es 2013 dort zu einer deutsch-griechischen Uraufführung. In Neukölln geplant ist ein internationales Festival »für Musiktheater unter prekären Bedingungen«.
Weiter ab 12.7., 20 Uhr, Neuköllner Oper, Studiobühne, Karl-Marx-Str. 131, Neukölln, Tel.: 68 89 07 77, im Internet
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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