Prügel für die Retter
Immer häufiger werden Sanitäter bei ihren Einsätzen beschimpft oder gar angegriffen - ein Bericht aus Rheinland-Pfalz
Mainz. Ein Rettungswagen wird zu einem Familienstreit gerufen. Genaueres ist nicht bekannt. Als die Helfer das Haus betreten, werden sie plötzlich angegriffen. Einem Sanitäter wird der Daumen so verdreht, dass sein Band abreißt. Statt einen Patienten ins Krankenhaus zu bringen, muss er selbst in die Klinik.
Dieses Erlebnis eines Kollegen schilderte der Mainzer Johanniter-Mitarbeiter Martin Ritter. Es ist kein Einzelfall. Immer häufiger werden Rettungskräfte bei ihrer Arbeit behindert oder gar angegriffen, so die Erfahrungen von Hilfsorganisationen. Dazu zählt verbale wie auch körperliche Gewalt.
Blockierte Zufahrten
»Ein Kollege hat durch einen Tritt mehrere Zähne verloren«, erzählt Achim Casper. Seit 20 Jahren ist er im aktiven Rettungsdienst des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) tätig. »Wir wollen doch einfach nur helfen. Und das mit Prügel und Beleidigungen vergolten zu bekommen, ist schlimm.«
Viele Leute seien in den vergangenen Jahren respektloser geworden, sagt Casper. »Das gehört leider zu einem Einsatzalltag. Es gibt mittlerweile kaum ein Schimpfwort, dass mir noch nicht an den Kopf geworfen wurde.« Gerade die Beschimpfungen würden zunehmen. Körperliche Gewalt sei eher in den Großstädten ein Thema - vor allem am Wochenende.
Viele Autofahrer machen den Rettungswagen auch auf dem Weg zum Einsatz den Weg nicht zügig genug frei - trotz Blaulicht. »Man kann wirklich nicht nachvollziehen, woher das kommt«, sagt Casper. »Ich glaube, der Bevölkerung ist nicht bewusst, wie oft wir in psychisch belastenden Situationen arbeiten müssen.« Und da müsse es bekanntlich schnell gehen, denn in der Notfallrettung gehe es um Minuten. Oft wüssten die Angehörigen der Patienten alles vermeintlich besser als die ausgebildeten Retter. »Das hält nur vom Arbeiten ab.« Die Hilfsorganisationen reagieren inzwischen. Schon in der Ausbildung werden die Rettungskräfte darauf vorbereitet, dass sie angepöbelt und angegriffen werden. Später spielt das Thema auch in jährlichen Schulungen eine Rolle.
Die Erfahrungen dort sind unterschiedlich. »Solche Schulungen sind wichtig. Gerade jungen Mitarbeitern können dort Themen wie Selbstverteidigung beigebracht werden«, meint Martin Ritter. »Aus Erfahrungen lernt man meistens mehr als aus Schulungen«, erklärt der Samariter Casper.
Wichtiger Ansatz bei den Schulungen sei die Deeskalation, erklärt der Referatsleiter für Bevölkerungsschutz des ASB, Daniel Gelbke. »Deeskalation ist im Rettungsdienst ein tägliches Thema. Man muss aufgebrachte und verletzte Menschen sowie die Angehörigen ständig beruhigen.« Genaue Zahlen über die Übergriffe gibt es allerdings noch nicht. Die Universität in Bochum hat eine Studie mit Zahlen aus dem Nachbarland Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. Laut Studie haben mehr als ein Viertel der befragten Rettungskräfte innerhalb des vergangenen Jahres körperliche Gewalt von strafrechtlicher Relevanz erlitten. Die meisten Täter waren männlich, 20 bis 39 Jahre alt und alkoholisiert.
Auch den rheinland-pfälzischen Hilfsorganisationen erscheinen die Ergebnisse der Studie als zutreffend. Einzig beim Landesdienst des Deutschen Roten Kreuz in Mainz sind solche Fälle nach eigenen Angaben nicht bekannt.
Künftig mit Schutzweste?
»Ich fände es gut, wenn in der Bevölkerung ein Bewusstsein zu diesem Thema geweckt wird«, sagt Casper. Selten sei es der Fall, dass Leute dazwischen gehen und den Sanitätern helfen würden, wenn diese angepöbelt werden. »Da wird nur daneben stehen geblieben und gegafft.«
Die Mitarbeiter zum Selbstschutz mit Pfefferspray und Schutzwesten auszurüsten, wie es etwa in Nürnberg der Fall ist, sei für ASB, Malteser und Johanniter keine Lösung. »Wie würden Sie denn reagieren, wenn ein Sanitäter mit Schutzweste vor einem steht? Da bekommt man doch Angst«, wendet der Johanniter Martin Ritter ein.
Achim Casper sieht das ähnlich: »In dem Moment, indem ich mich so verteidigen muss, dass ich nur noch die Chance im Pfefferspray sehe, weiß ich nicht, ob ich den Beruf noch gerne weitermachen würde.«
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