Kennzeichnung macht hitzefrei
Polizisten können im Sommer ohne Namens- oder Nummernschilder unterwegs sein
Es ist ein Sommer-Thema im wahrsten Sinne des Wortes. Aufgrund der heißen Temperaturen müssen Polizisten im Einsatz nicht zwangsläufig ihre Dienstjacke tragen. Doch nur an den Einsatzjacken befinden sich die »Flauschflächen«, an denen die individuelle Kennzeichnung auf dem Rücken befestigt werden kann. »Wie wird sichergestellt, dass die Namensschilder bzw. die rotierenden Rückennummern bei wechselnder Oberbekleidung (jahreszeitbedingt) getragen bzw. befestigt werden können?«, wollte deshalb der Piraten-Abgeordnete Fabio Reinhardt vom Innensenator Frank Henkel (CDU) in einer Kleinen Anfrage wissen.
Der Innensenator erklärte nun in seiner Antwort: »Wird im Einzelfall witterungsbedingt und aufgrund der Einsatzlage die Einsatzjacke nicht getragen, besteht keine Verpflichtung zum Tragen der taktischen Kennzeichnung, weil an der unter der Einsatzjacke getragenen Oberbekleidung keine Befestigungsmöglichkeit vorhanden ist.« Kurz: Ist es zu heiß und gerade nichts Gefährliches los, können die Polizisten auch ohne Kennzeichnung im Dienst sein. Es gibt auch keine Bestrebung, dies zu ändern. »Eine nachträgliche Auf-/Anbringung von Befestigungsmöglichkeiten an diesen Bekleidungsartikeln ist unter Kostenaspekten nicht vorgesehen«, erklärte Henkel.
Weil es zu teuer ist, macht die hart erkämpfte individuelle Kennzeichnung also hitzefrei? Für die Opposition im Abgeordnetenhaus ist die verkündete Ausnahmeregelung eine Enttäuschung. Als nach den Koalitionsverhandlungen im Herbst deutlich wurde, dass die CDU die Kennzeichnungspflicht umsetzen wird, waren wir positiv überrascht, sagt der Innenexperte der LINKEN, Udo Wolf. Dafür habe man auch das »bürokratische Monstrum« der rotierenden Nummern in Kauf genommen. Gäbe es dagegen nur eine Nummer, könnte diese einfach auf die T-Shirts aufgedruckt werden, meint Wolf. »Wenn jetzt aber Schritt für Schritt Ausnahmeregelungen geschaffen werden, stellt sich die Frage, was die individuelle Kennzeichnung dann noch wert ist?«
Aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist dagegen keine Aushöhlung erkennbar. »Die Empörung ist der offensichtlichen Unkenntnis über den Ablauf von Einsätzen geschuldet«, sagt der Landesvorsitzende der GdP, Michael Purper. »Unser Kolleginnen und Kollegen ziehen sich bereits bei den kleinsten Einsätzen zum Selbstschutz ihre Einsatzjacken über«, sagt Purper. Allein wegen der »täglich eskalierenden Gewalt gegenüber den eingesetzten Kräften« gebe es da wenig Spielraum.
Gegen die individuelle Kennzeichnung sind auch noch Musterklagen von Polizisten anhängig. Die Oppositionsparteien wollen nun die Evaluation abwarten. Bis Ende des Jahres will die Innenverwaltung einen Erfahrungsbericht erstellen. Zwischen Januar und Ende April dieses Jahres gab es 23 Beschwerden und sechs Strafverfahren wurden gegen Beamte eingeleitet.
Für die LINKE braucht es darüber hinaus auch eine Debatte über Unterstützungskräfte anderer Bundesländer. Weil sie nicht individuell gekennzeichnet sind, würden sie etwa am 1. Mai an den schwierigen Punkten eingesetzt, hat Wolf beobachtet.
Individuelle Kennzeichnung
Seit dem 1. September 2011 müssen Polizisten in Berlin im Einsatz ein Namens- oder ein Nummernschild tragen, um dem Bürger mit »offenem Visier« gegenüberzutreten. Die Initiative für die Individuelle Kennzeichnung der Polizisten ging auf die rot-rote Koalition zurück. Um den Schutz der Beamten zu verbessern, hat jeder Polizist drei Nummern zugeteilt bekommen, die rotierend getragen werden können.Unterschieden werden muss allerdings zwischen Beamten der Polizeiabschnitte vor Ort und den Polizisten der Einsatzhundertschaften: Die Abschnittsbeamten tragen ein Namens- oder ein Nummernschild mit fünf Ziffern. Die Beamten der Einsatzhundertschaften tragen dagegen sogenannte taktische Kennzeichnungen auf dem Rücken: das sind individuelle Nummern plus einem Zusatz zur Funktion in der Einheit.
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