Obdachlos wegen 500 Dollar
In den USA können Hausbesitzer schon bei geringen Steuerschulden ihr Eigentum verlieren
Die 75-jährige Betty Museus lebte jahrelang alleine. Als die Frau aus Missoula im US-Bundesstaat Montana mit ihren Steuern um 6000 Dollar (4900 Euro) in Rückstand geriet, verkaufte die Stadt ihre Schulden an eine Firma aus Virginia. Diese ordnete die Zwangsräumung an und warf Betty Museus aus ihrem Haus. Dabei war sie nicht einmal arm, ihr Haus hatte einen Wert von 150 000 Dollar.
Die Geschichte ist exemplarisch für ein neues Phänomen in den USA, auf das nun die Organisation »National Consumer Law Center« in einer Studie aufmerksam machte. Immer mehr US-Amerikaner, besonders ältere und behinderte, verlieren ihr Heim, weil sie bei Staat oder Kommune Steuerschulden haben. Teilweise sind es nur wenige hundert Dollar. Viele Hausbesitzer hätten ihr Haus verloren, erklärt der Verfasser der Studie, John Rao. »Oder sie werden es verlieren, genau wie das damit verbundene Vermögen, das teilweise ihre einzige Absicherung für den Ruhestand ist.«
Das Vorgehen erinnert an Fälle aus der Wirtschaftskrise 2008. Damals hatten Banken Hunderttausende aus ihren Häusern geklagt, teilweise unter Vortäuschung falscher Tatsachen. Staatsanwaltschaft und Regierung hatten die Banken verklagt und im Februar 2012 eine Einigung erzielt. Die Banken mussten insgesamt 25 Milliarden Dollar Strafe zahlen. Nun trifft es kommunale Verwaltungen, die stark auf die Grundsteuer angewiesen sind. In den meisten Bundesstaaten haben die Kommunen das Recht, Steuerschulden an Investoren zu verkaufen. Die behalten die Rechte am Eigentum des Schuldners, bis die Außenstände beglichen sind oder übernehmen den Besitz.
Aktuell schulden Steuerzahler den Kommunen 15 Milliarden Dollar. Ein Drittel davon ist durch den Verkauf an Investoren abgedeckt. Laut der Studie gehen Städte nun immer öfter zum Verkauf der Schulden über. Der Grund liegt in der schwierigen Haushaltslage. Für Städte ist es einfacher, die Schulden zu verkaufen. Einerseits hat man das Geld, andererseits muss man sich nicht um die Eintreibung der Schulden kümmern.
Über die genaue Zahl an Zwangsräumungen gibt der Bericht keine Auskunft, der Verkauf von Schulden soll sich aber in einigen Gemeinden verdoppelt haben. Die Studie informiert zudem Hausbesitzer über die Steuergesetze und über Fristen, die einzuhalten sind, bevor die Räumung angeordnet werden kann. »Unser Bericht ist ein Weckruf an die Bundesstaaten, damit endlich die Steuergesetze überarbeitet werden«, sagt Autor Rao. Es müsse möglich sein, auch anderweitig dafür zu sorgen, dass die Städte und Gemeinden ihr Geld kriegen.
Für Investoren sind Steuerschulden lohnend, da sie entsprechenden Druck auf die Schuldner ausüben können. Bei Ratenzahlungen können sie bis zu 50 Prozent Zinsen verlangen. »Es gibt einen Grund, dass dieses Modell nachts in der Fernsehwerbung angepriesen wird. Auch im Internet wird dafür als ›Weg zu schnellem Reichtum‹ geworben«, schreibt Rao. Er schildert persönliche Schicksale, wie das von Betty Museus. Der traurigste Fall ist der einer 81-Jährigen, die zwei Wochen vor Weihnachten aus ihrem Haus geworfen wurde, in dem sie 40 Jahre lang lebte. Ihre Rückstände betrugen knapp 500 Dollar. Der Investor zahlte für deren Übernahme 840 Dollar - und verkaufte das Haus für 85 000 Dollar.
Rao sagt, dass es gerade für Ältere schwer sei, mit so einer Situation umzugehen. Für viele seien Häuser die einzige Absicherung. »Die Konsequenzen für Menschen, die ihre Rechte nicht kennen oder sich mit Steuergesetzen nicht auskennen, sind furchtbar.« Einige Banken haben den Ankauf von Steuerschulden nun gestoppt, darunter JP Morgan und die Bank of America, die aber noch Rechte aus früher erworbenen Schulden besitzen. Auch einige Kommunen denken langsam um. In Franklin County (Ohio) will man Schuldnern mehr Zeit einräumen, ihre Außenstände zu begleichen. »Man müsste schon zwei Jahre lang all unsere Schreiben ignorieren«, so die Sprecherin des Kämmerers, Lillian Williams Purkey. »Wir wollen jedenfalls keine älteren Bürger in diese Situation bringen.«
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