Helden. Kritisch untersetzt

Fritz Cremers Figurengruppe in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald wird restauriert

  • Katja Feurich-Seidel
  • Lesedauer: ca. 5.5 Min.
Derzeit wird das Buchenwald-Denkmal von Fritz Cremer durch erfahrene Fachleute unter Leitung des Erfurter Metallrestaurators Bernhard Mai in der eigens dafür angemieteten Halle des ehemaligen Weimarwerkes wiederhergestellt. Interessierte Besucher haben die Möglichkeit, den Fortgang der Restaurierungsarbeiten zu verfolgen. Im Frühjahr 2005 - zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald - soll Cremers Denkmal wieder an seinen Platz zurückkehren, um weithin sichtbar zu mahnen gegen das Vergessen. Im Wald des Ettersberges bei Weimar ging einst Johann Wolfgang von Goethe spazieren. Ein Baum - die Goethe-Eiche genannt - erinnerte noch hundert Jahre später daran. 1937 wurde der Wald teilweise gerodet. Es entstand das Konzentrationslager Buchenwald. Die Goethe-Eiche ließ man zwischen den Baracken stehen. Sie wurde Zeuge äußerster Menschenverachtung. Eine Viertel Million Menschen aus 49 Ländern hatte die SS hier zusammengetrieben. Sie mussten Zwangsarbeit leisten. Viele von ihnen überlebten nicht. Die Eiche wurde bei Bombenangriffen im August 1944 zerstört. Der Schriftsteller Bruno Apitz - seit Anbeginn im Konzentrationslager inhaftiert - schaffte ein Stück ihres Holzes beiseite und schnitzte noch im Konzentrationslager »Das letzte Gesicht«. Mit diesem kleinen, kaum bekannten Relief gedachte Apitz der vielen Toten Buchenwalds. Ein Denkmal für den ungebrochenen Widerstand schuf er vierzehn Jahre später mit seinem Roman »Nackt unter Wölfen«, in dem er die lebensgefährliche Rettung eines kleinen Jungen - gleichnishaft für 900 überlebende Kinder in diesem Lager - erzählt. Im gleichen Jahr, am 14. September 1958, wird in dem ehemaligen Konzentrationslager die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald durch den Ministerpräsidenten der DDR Otto Grotewohl eingeweiht: Entstanden ist ein symbolträchtiges, das Gelände und die Massengräber des Lagers in die Gestaltung einbeziehendes Monument. An erhabenem Standort, unterhalb des Glockenturms, befindet sich seitdem das mehrfigurige Bronzedenkmal von Fritz Cremer. In der jüngeren Vergangenheit ist dieses Denkmal wiederholt in die Schlagzeilen geraten. 1998 von rechtsradikalen Jugendlichen geschändet, musste eine der Figuren restauriert werden. Dabei wurde deren bedenklicher Zustand entdeckt: Rost im Inneren gefährdete die Standfestigkeit der gesamten Figurengruppe. Die derzeit beginnende, aufwändige Restaurierung (ND vom 24.7.2002) gibt Anlass zur Würdigung des Cremerschen Werkes. 1950 wird der Bildhauer Fritz Cremer (1906-1993) als Mitglied an die neu ins Leben gerufene Deutsche Akademie der Künste berufen. Er kehrt Wien den Rücken, wo er seit 1946 als Professor gewirkt hat, und kommt in die DDR. In seiner einstigen Studienstadt Berlin - und bis zur Einberufung in den Kriegsdienst auch Wirkungsstätte - wird ihm die Leitung eines Meisterateliers übertragen. Im Ergebnis der Teilnahme an einem beschränkten Wettbewerb erhält er 1952 den Auftrag zur Schaffung einer monumentalen Gruppenplastik innerhalb des geplanten Gesamtensembles für eine Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, die thematisch der Selbstbefreiung des Lagers gewidmet sein soll. Es ist sein erster großer Staatsauftrag in der DDR. Von der in den fünfziger Jahren vor allem von DDR-Funktionären geführten Formalismusdebatte bleibt auch die künstlerische Arbeit um dieses Denkmal nicht verschont. Erst ein dritter Entwurf Fritz Cremers wird zur Ausführung kommen. Seine erste Fassung sah eine aus sieben Männerfiguren bestehende Gruppe vor. Sie stehen auf einem flachen Podest. Ihre hageren Gesichter und die unter ihren offenen Jacken sichtbar werdenden ausgemergelten Körper zeigen die Spuren der qualvollen Vergangenheit. Doch ihre Haltung ist würdevoll und sie wirken entschlossen, sich gemeinsam gegen den Feind aufzulehnen. Cremer verzichtet auf jede Hierarchisierung. Hervorgehoben ist einzig ein Mann in der Mitte, der die Hand zum Schwur - dem historischen Buchenwaldschwur vom 19. April 1945 - erhebt. Das vielfach in der Literatur zitierte Denkmalsvorbild Auguste Rodins »Die Bürger von Calais« (1884-88) lässt sich nicht verleugnen. Der Entwurf wurde am 2.7.1952 im »Neuen Deutschland« von Wilhelm Girnus mit folgenden Worten angegriffen: Die Künstler seien »in den ideenlosen Sumpf des schamhaft mit hysterisch expressionistischen Zügen verdeckten Naturalismus geraten«. Nach seiner Ansicht sei das Leid überbetont, und es fehle das Entscheidende, die Siegesgewissheit. Cremer reduziert in seiner zweiten Fassung die Gruppe auf vier Figuren, bewaffnet unter der Fahne des Sieges. Von den ausgemergelten Körpern keine Spur mehr. Diesen - in hierarchischer Dreieckskomposition gestalteten Entwurf - bezeichnet der Künstler später laut Elmar Jansen (Wegbereiter, 1976) als »Finale eines schlechten Theaterstückes«. Das ausgeführte Denkmal orientiert sich an den vorangegangenen Entwürfen. Fritz Cremer erweitert die Gruppe auf elf , kompositorisch wieder mehr aufgereihte Figuren, die durch ihre Haltung als unterschiedliche Typen charakterisiert sind. Der Schwörende wird von Männern mit Waffen und der Siegesfahne umgeben. Ein Junge, links außen stehend, legt die linke Hand auf die rechte Brust und stimmt so mit kindlicher Geste dem geschichtlichen Schwur zu. Dagegen befinden sich rechts außen der Zweifler und Zyniker, die jedoch aufgefordert werden, nicht zurückzubleiben. Ein Vorwärtsstürmender, von unsichtbaren Kugeln getroffenen, bricht mit erhobenen Fäusten zusammen. Die Entstehungsgeschichte dieses Denkmals wurde von Dr. Volker Knigge 1995 im Katalog zur Ausstellung »Auftrag Kunst 1949-1990. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik« (Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, Berlin) unter Hinzuziehung von Archivmaterial sehr ausführlich dargestellt. In diesem Artikel hat er die Selbstbefreiung des Lagers durch die Häftlinge hinterfragt und außerdem die Problematik der weiteren Nutzung des Konzentrationslagers durch die sowjetische Armee als Speziallager 2 von August 1945 bis 1949 offen benannt. Seine vor diesem Hintergrund provozierende Interpretation des Denkmals als »Aus- und Überblendung der Realität, bis hin zur Lüge« steht konträr zu der im Grundtenor einstimmig positiven Bewertung in der DDR und hat eine starke öffentliche Diskussion herausgefordert. Im »Tagesspiegel« (N. Kuhn, 26.1.1995) wurde anlässlich der Ausstellung resümiert, Fritz Cremers Buchenwald-Denkmal zeuge vom Kniefall eines Künstlers, der wider besseren Wissens mit seinen pathetischen Figuren die sozialistische Lesart von der Selbstbefreiung der Gefangenen fundamentierte. Darauf ist dieses Werk mit Sicherheit nicht zu reduzieren. Bereits seit den 30er Jahren beschäftigt sich Fritz Cremer in seinem künstlerischen Werk intensiv mit Gedächtnisthemen. Für sein Relief Trauernde Mütter von 1937, das noch während seiner Meisterschülerzeit bei Wilhelm Gerstel entstand, erhielt er den Preußischen Staatspreis. Diese frühen Arbeiten sind nicht nur in ihrer Thematik, sondern auch in der Formensprache Käthe Kollwitz und Ernst Barlach verpflichtet, die er »seine künstlerischen Eltern« nannte. Dieses Vorbild klingt nach bis in die 40er Jahre, wie beispielsweise in den Arbeiten »Soldatenmutter« (1942) und »Klagende Mütter« (1948), die ihren starken Ausdruck einer Gewandsprache Barlachscher Art entlehnen. Parallel dazu entstehen während seiner Tätigkeit in Wien ab 1946 im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus Figuren, die in ihrem beseelten, stark in sich gekehrten Ausdruck den Arbeiten Wilhelm Lehmbrucks nahe stehen, wie der Freiheitskämpfer (1947) oder Der Geschlagene (1949). Im Spannungsfeld von Trauer und Anklage schuf er 1947 eine seiner überzeugendsten Lösungen für Opferdenkmäler für den Zentralfriedhof in Wien. Die vier Jahre in Wien gelten im Nachhinein als die produktivste Phase Cremers. Die Ausführung seines ersten großen Staatsauftrags in der DDR - das Buchenwald-Denkmal - zeigt stilistisch eine Abwendung von seinen bisherigen Vorbildern. Er orientiert sich zurück zu einer stärker naturalistischen Formensprache seines einstigen Lehrers Professor Wilhelm Gerstel. Die von Funktionären dogmatisch geführte Debatte ließ ihn seine ersten Lösungen aufgeben. Die Forderung nach uneingeschränkter Heldendarstellung hat Cremer auf hohem künstlerischen Niveau kritisch untersetzt. Aus Gegensätzen wie Entschlossenheit und Zweifel, Mut und Angst, Sieg und Niederlage formte er eine differenzierte Darstellung des Sieges und setzte damit den Überlebenden wie den Toten ein überzeugendes Denkmal. Es ist Mahnmal u...

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