Vor der großen Hitze

Forschungsgruppe aller Universitäten will auf Auswirkungen vorbereiten

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.

Christian Witt macht sich Sorgen, vor allem um die älteren Bevölkerungsteile Deutschlands. »Es kann sein, dass durch den zunehmenden Hitzestress die durchschnittliche Lebenserwartung sinkt«, warnt der Professor für Lungenheilkunde an der Universitätsmedizin Charité. Große Hitzewellen werden in Zukunft in Europa viel häufiger auftreten. Was in Berlin an vorbereitenden Maßnahmen nötig und möglich ist, soll nun eine Forschungsgruppe herausfinden, an der alle Berliner Universitäten beteiligt sind und der auch Witt angehört.

Sprecher und Organisator des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zunächst für drei Jahre finanzierten Forschungsprojekts ist Dieter Scherer. Der Professor für Klimatologie an der Technischen Universität (TU) verdeutlicht ebenfalls die Brisanz des Themas: »2003 gab es die größte humanitäre Katastrophe Europas seit 500 Jahren. Aufgrund der großen Hitzewelle starben 70 000 Menschen mehr als normalerweise.«

Dass die mittlere Jahrestemperatur auch in und um Berlin stark ansteigen wird, ist längst klar. Die derzeitigen Schätzungen seien da sogar noch zu moderat, da veraltet, sagt Susanne Grossman-Clarke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Das vielfältige Forschungsprojekt soll nun nicht nur in dieser Hinsicht neue Erkenntnisse bringen. Erforscht wird auch, wie der Berliner Stadtraum unterschiedliche Risiken für Hitzestress bedingt und wie Temperaturveränderungen in Innenräumen von Außentemperaturveränderungen, Gebäudetypen und -begrünung abhängen.

Auch die Auswirkungen auf sich in den Räumen aufhaltende geschwächte Menschen werden in verschiedener Hinsicht untersucht. Denn »die Kranken leiden am meisten«, wie Christian Witt festhält. Der Medizinprofessor wird eine klinische Studie durchführen, um zu ergründen, welcher Patiententyp besonders anfällig für Hitzestress ist und wie sich die Raumkühlung in Krankenhäusern auswirkt. Mittlerweile sei bekannt, dass es nicht Menschen mit Kreislaufproblemen sind, die am meisten unter Hitzestress leiden, sondern die mit Atemwegserkrankungen, erklärt Witt. Die Hitzewellen würden nämlich nicht nur häufiger, sondern auch trockener.

Doch geht es Christian Witt nicht nur um bereits Bettlägerige, um die Verhältnisse in Krankenhäusern und Altenheimen. Auch Menschen, die sich eigentlich generell gut fühlen, aber chronische Leiden wie Bluthochdruck haben oder Medikamente nehmen, seien gefährdet.

Dass schon geringe Temperaturschwankungen die Todesrate steigern können, bezeugen laut Projektsprecher Dieter Scherer Langzeitdaten. Er betont aber, dass es nicht nur um Gebrechliche geht. Hitzestress führe etwa auch zu reduzierten Arbeitsleistungen und Unfällen.

Das Forschungsprojekt heißt ins Deutsche übersetzt: »Städtisches Klima und Hitzestress in Städten der Mittelbreiten im Hinblick auf den Klimawandel«. Die Erkenntnisse am Beispiel Berlin sollen letztendlich auch auf andere Städte angewendet werden, die sich zwischen Subtropen und kalter Klimazone befinden.

Dass die Forschungsergebnisse auch einen Effekt haben, soll dadurch gesichert werden, dass sie auf konkrete Verbesserungen abzielen. Dieter Scherer will nicht Klimawandelpanik schüren, sondern zeigen, was getan werden kann und was eher nicht viel hilft. Die Politologieprofessorin Miranda Schreurs von der Freien Universität ist mit im Boot, um die politische Konstellation zu erforschen: Welche Institutionen haben welche Interessen und müssen wie eingebunden werden, damit wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Hitzewellen getroffen werden können? Dieter Scherer ist zuversichtlich, dass seine Forschungsgruppe auf Berliner Ebene mehr Erfolg haben wird als die globalen Klimagipfel bei der Bekämpfung des weltweiten Klimawandels.

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