Zirkus ohne Zelt
»Die Aristokraten« am Wannsee bringen Spaß fürs Volk
Nein, steif und voll komplizierter Etikette ist dieser Hofstaat nicht. Wenn Martin van Bracht als selbst ernannter Fürst mit seinen »Aristokraten« den Garten der Villa Blumenfisch am Wannsee in eine turbulente Barockwelt verwandelt, geht es nur um eins - um Spaß fürs Volk. Mit erstaunlichem Freiluftvarieté und einer gehörigen Portion Augenzwinkern beweist die achtköpfige Truppe mit ihrem Programm »Wannsee, Luft und Liebe«, dass Zirkus auch ohne Zelt funktioniert.
Schon das Ambiente um das Gästehaus der Villa Blumenfisch, wo »Die Aristokraten« den zweiten Sommer gastieren, ist wahrhaft herrschaftlich: Von der Terrasse der Gründerzeitvilla aus geht es hangabwärts, Gebüsch und Wege rahmen die sattgrüne Rasenfläche ein, die direkt am Ufer des Großen Wannsees endet. Die parkähnliche Anlage bietet exakt den richtigen Rahmen für den Fürsten von eigenen Gnaden, der zu Anfang der Show mit einem weißlackierten, feder- und blumengeschmückten Fahrrad den Hang hinuntersaust und direkt vor der in Rot und Weiß gehaltenen Bühne zum Stehen kommt. »Huldigung!«, also Applaus, fordert er nicht zum letzten Mal, und das begeisterte Publikum erfüllt ihm den Wunsch nur zu gerne.
Es kommt aber auch keine Minute Langeweile auf, wenn »Fürst« van Bracht und sein schräger Hofstaat mit viel Spiellust barocke Opulenz und artistische Nummern zu einem ungewöhnlichen Sommerspektakel mixen. Die ganz in weiß gehaltenen Kostüme samt Allongeperücken, Reifröcken für die Damen und Kniebundhosen zu Strümpfen für die Herren, ergeben einen tollen Kontrast zum grünen Rasen und der purpurroten Bühnenbespannung; ebenso stilvoll sind die Requisiten, ob schicke weiße Kutsche oder das Steckenpferd, auf dem Marc Maschek als fürstlicher Bote zu Bonanza-Klängen den Hang hinuntergaloppiert. Die Trapeznummern von Christine Ritter und Kathrin Mlynek, besser bekannt als »Die Kriskats«, wirken vor Bäumen und blauem Himmel noch mal um einiges waghalsiger als in einem Zelt, und Ziska Rivas anmutiger Seiltanz gewinnt vor der weiten Kulisse des Wannsees enorm an Romantik.
Vor allem jedoch macht der trockene Humor, zwischendurch gepaart mit gekonntem Slapstick und der einen oder anderen Improvisation, den Reiz des Ensembles aus. Martin van Bracht, der sich nach einer kurzen Episode als Koch in den 80er Jahren an der Berliner »Etage« zum Clown und Akrobaten ausbilden ließ und zu den Mitbegründern des legendären Circus Gosh gehört, führt seine »Aristokraten« mit genau der richtigen Mischung aus respektlosem Charme und Louis de Funés-artiger Strenge, ob er nun mit dem Hofstaat Blinde Kuh spielt oder sich mit Thronfolger Leopold (Felix Ahlert) in Bodenakrobatik und Hebefiguren misst. Wobei Ahlert, das Küken der Truppe, auch mal einen einarmigen Handstand auf dem Kopf des Meisters zeigt oder in einem Reifen herumwirbelt, bis einem schwindelig wird.
Zur Raison rufen lässt sich der Herrscher des Hofes höchstens von Kammerdiener Antoine (Gilles Le Leuch), der als waschechter Franzose in der Rolle des Maître de Plaisir regelrecht aufgeht, dazwischen aber noch Zeit hat, um mit zwei Wischmops »Nordic Mopping« vorzuführen (»Reinigt Geist, Körper und den Boden!«) oder seine Diabolos in atemberaubendem Tempo herumzuwirbeln. Zusätzlichen Charme erhalten all die Artistiknummern durch die wunderbare Musik von Klaus Franz, der zwischendurch auch mal als menschliche Musikbox fungiert: Drückt man, erklingt, je nach Stelle, »Blue Suede Shoes«, »Ein guter Freund« oder »Über den Wolken«. Chapeau! Übrigens lohnt es sich als Zuschauer durchaus, etwas früher zu kommen: Dann kann man an einem der Gastronomiestände, gestellt von der Villa Blumenfisch und ihren Via-Werkstätten, Bowle, Bier, Flammkuchen oder Bratwurst kaufen und dabei den Blick über den See genießen. Und nach der Vorstellung dürfen Kinder auch mal Seillaufen üben.
Bis 30.8., di-fr 19.30 Uhr, sonntags im August 16 Uhr, keine Vorstellungen am 3./10./19.8; Am Sandwerder 11-13, Grunewald, Karten: 030/47 99 74 36
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