Werbung

Vom Gewichtheben auf den Salomonen

Jenly Tego Wini erlebt ihre ersten Olympischen Spiele

  • Erik Eggers, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie hat einen schönen Namen. Jenly Tego Wini, das klingt wie eine Melodie, wie der Beginn eines Gedichts. Dafür schaut die junge Frau, als sie die Bühne betritt, erstaunlich grimmig drein. Entschlossen stemmt sie die Langhantel in die Höhe, die Fans in der ExCel-Arena jubeln ihr zu, und nun lächelt auch Wini. Auch wenn es nur 65 Kilogramm sind im Reißen, der ersten Disziplin des olympischen Zweikampfs. Exakt 28 Kilogramm weniger als Christin Ulrich, die ein paar Minuten später deutschen Rekord hebt. Wini belegt am Ende den letzten Platz. Die nächste Heberin, eine Schweizerin, hebt 30 Kilogramm mehr, Welten in diesem Sport.

Gewichtheben der Frauen, die Klasse bis 58 Kilogramm, die B-Gruppe mit den tiefer eingestuften Sportlerinnen, das ist nicht die spektakulärste Show bei den Olympischen Spielen in London. Aber für Wini, 27 Jahre alt, ist es genau das. »Das ist der größte Tag in meinem Leben«, sagt sie, obwohl sie im Reißen mehr drauf gehabt hätte. »Mein Rekord liegt bei 75 Kilogramm, deshalb bin ich sehr enttäuscht.« Sie sei sehr nervös gewesen, die Zuschauer, grölend, johlend, das kannte sie nicht. »Die Fans waren sehr laut, es war großartig, aber schwierig für mich«, sagt sie, den Ledergürtel geschultert. Noch ganz benommen ist sie von ihrem olympischen Augenblick. Die kleine blutende Stelle an ihrer Schulter, sagt sie, hat sie nicht bemerkt.

Zu Hause, sagt sie, sind alle lange wach geblieben. »Alle haben zugeschaut, am Fernseher.« Ihre Heimat ist zehn Zeitzonen entfernt: Die Salomonen, knapp tausend Inseln, östlich von Papua-Neuguinea gelegen, umgeben von Nauru, den Fidschis, Kiribati, Vanuatu und Tuvalu. »Es ist wunderschön dort«, sagt Wini und schaut entrückt: 28 Grad Tagestemperatur, hügelige Naturlandschaft, 550 000 Menschen, Lebenserwartung gut 74 Jahre, Armeestärke: Null.

Wini ist scheu, die Aufmerksamkeit kennt sie nicht. Zu Hause berichtet manchmal die Zeitung über sie, nun will der junge Mann vom Organisationskomitee viele seltsame Dinge von ihr wissen. Sie antwortet leise, kaum hörbar, den Blick auf den Boden gesenkt. »Ich bin das erste Mal in England«, sagt sie, »ja, es ist sehr schön, hier zu sein.« Die Eindrücke von der Eröffnungsfeier haben sie schon schier erschlagen. Sie trug die Fahne ins Stadion, ebenso schüchtern, vor den drei anderen Athleten ihres Landes.

Die Frage, ob sie schon berühmte Gewichtheber gesehen oder kennengelernt hat, verneint sie. Den Namen Matthias Steiner hat sie noch nie gehört. Aber sie trainiert ja auch erst seit drei Jahren diesen Sport. »Wir haben keine richtigen Trainingsmöglichkeiten zu Hause«, erklärt sie, auch nicht in Honiara, der Hauptstadt der Inseln, die nur zwei Hauptstraßen hat. Das Leben dort besteht nicht aus Gewichtheben, sondern aus Fischfang, Holzwirtschaft, dem Abbau von Gold, Nickel und Zink. Exportiert wird auch Palmenöl und Kakao. Sie selbst verdient ihr Geld als Sozialarbeiterin.

Deshalb war sie, als sie wenige Wochen vor den Spielen eine Wildcard für Olympia erhalten hatte, in das Oceania Weightlifting Institute des Ozeanischen Gewichtheberverbandes gereist, nach Neu Kaledonien, um sich für London zu präparieren. Noch nie war sie so lange weg von zu Hause. Noch bis zum 14. August wird sie in London bleiben, um sich andere Wettkämpfe anzusehen, die besten Sportler der Welt. Leider, sagt sie, ist ihr Lieblingssport Rugby nicht zu sehen in London. Vielleicht in Rio de Janeiro, in vier Jahren, sagt sie, dann ist Rugby ja zurück. Wenn sie zurückkehrt nach Honiara wird sie ihren Freunden viele Geschichten erzählen. Von Gewichtheberinnen wie der Deutschen Christin Ulrich, die die Hanteln anbrüllt. Von der Queen im Stadion. Von Leuten, die seltsame Fragen stellen. Und natürlich über ihren großen Auftritt bei den Olympischen Spielen 2012.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -