Ein stiller Terroristenprozess
Türkische Kurdin in Berlin unter Anklage
In Berlin läuft seit Juli bis Ende des Jahres ein Prozess gegen Gülaferit Ünsal, die von der Generalbundesanwaltschaft der »Bildung einer terroristischen Vereinigung im Ausland« angeklagt ist.
Sie ist, glaubt man der Generalbundesanwaltschaft, eine äußerst gefährliche Person. Das sympathische Äußere hinter Panzerglas des Schwurgerichtssaals 700 im Kriminalgericht Moabit wird die oberste Anklagebehörde der Bundesrepublik nicht beeindrucken. Die 42-Jährige soll zwischen 2002 und 2008 Leiterin des Europa-Büros der Volksbefreiungspartei/front (DHKP-C) gewesen sein. Die DHKP-C ist laut Anklageschrift eine linksradikale Gruppe, die den Umsturz in der Türkei anstrebt, um ein kommunistisches Regime zu errichten. Ünsal war, weiter in der Anklage, an der Beschaffung von Finanzmitteln für den bewaffneten Kampf beteiligt. Sie hat nicht mit Leopard-Panzern gehandelt, sondern soll als Spendensammlerin für die Partei, die sowohl den legalen, als auch den Untergrundkampf propagiert, aufgetreten sein.
Die DHKP-C steht auf der Liste terroristischer Vereinigungen der EU und der USA, also jagt man ihre Anhänger rund um den Erdball. Gülafarit Ünsal lebte seit 2008 im griechischen Thessaloniki. Dort wurde sie aufgespürt, nach Berlin ausgeliefert. Seitdem sitzt sie in Einzelzelle in Untersuchungshaft.
Die Anklage liest sich wie ein Merkblatt zur Verhinderung des Kommunismus. Viel Agitation, viel Propaganda, noch mehr Vermutungen. Einige Anschläge in der Türkei werden beschrieben - doch kein einziger Bezug zu der Frau hinter Panzerglas. Oberster Grundsatz deutscher Rechtsprechung: Eine Tat muss konkret sein und dem Täter zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Doch diese Anklage ist wie ein Schwamm, aus dem herausgequetscht werden kann, was für eine Anklage benötigt wird. Möglich macht das ein Paragraf, der seit 2002 im deutschen Strafrecht verankert ist. Nach dem 11. September 2001, als die Welt bebte, wurde der Paragraf 129 b als Schutz vor internationalem Terrorismus etabliert. Mit dem Gesetz können tamilische Rebellen, kurdische Widerständler, nicht aber syrische Kämpfer gegen das Assad-Regime oder die CIA, die die Kämpfer unterstützt, verfolgt werden.
Gestern war der dritte Prozesstag. Höchste Sicherheitsvorkehrungen, viele Uniformierte im Gerichtssaal, drei Zuhörer und ein Journalist. Der Prozess scheint an der Öffentlichkeit vorbeizugehen. Als Zeuge trat ein Beamter des Bundeskriminalamtes auf, der als Verbindungsmann zur griechischen Polizei fungiert. Er sagte aus, dass Ünsal als Waffenhändlerin durch einen anonymen Anruf in Griechenland denunziert und sie dann verhaftet wurde. Auf alle weiteren Frangen konnte er nur antworten: »Das weiß ich nicht, das entzieht sich meiner Kenntnis, dazu habe ich keine Informationen.« Er stand mit den griechischen Polizisten im »Informationsaustausch«, zur Beschuldigten selbst konnte er nichts beisteuern.
Dann wurden das Video einer mutmaßlichen Selbstmordattentäterin gezeigt und diverse Aussagen der jungen Frau wiedergegeben. Sie belegen, dass viele kurdische Jugendliche verfolgt, terrorisiert, gefoltert werden, sie deshalb den einzigen Ausweg im Kampf gegen das türkische System sehen.
Die Anklage versuchte erst gar nicht, einen Bezug zu Ünsals mutmaßlichen Spendensammlungen herzustellen. Bei allen Dokumenten ist man auf die Aussagen türkischer Behörden angewiesen. Ob Geständnisse unter Folter erpresst oder auch Fälschungen sind, das lässt sich vor deutschen Gerichten nicht nachprüfen. Auch nicht, ob die vermuteten gesammelten Gelder nicht für humanitäre Zwecke in den kurdischen Regionen eingesetzt wurden. Somit werden nicht Fakten über das Schicksal von Gülaferit Ünsal entscheiden sondern ein höchst fragwürdiger Paragraf.
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