Der Krieg, der die Hisbollah schuf

Noch heute ist Israel mit den Folgen des Libanon-Krieges vor 30 Jahren konfrontiert

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Einmarsch der israelischen Armee in Beirut vor 30 Jahren führte zum Abzug Yasser Arafats und seiner 11 000 Kämpfer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) aus Libanon. Ihren Platz in der Zedernrepublik nahm eine Organisation ein, die bis heute eine Schlüsselrolle im Nahostkonflikt spielt: die Partei Gottes - Hisbollah.

Weltweit fahnden Ermittler nach den Hintermännern des Anschlags auf einen Reisebus israelischer Touristen im bulgarischen Burgas - ohne Ergebnis bisher. Israels Regierung behauptet, die Hisbollah stecke hinter dem Anschlag. »Die Organisation hat den Terror perfektioniert«, bestätigen die Beobachter des sicherheitspolitischen Verlags Jane's Information Group, die sich gut vorstellen können, dass daran etwas Wahres ist: Die Organisation sei organisiert wie ein Staat, habe Mittel wie ein Staat, aber sie halte sich nicht an die Regeln, die für Staaten gelten.

Dass es sie gibt, liegt an Israel selbst. »Die Existenz der Hisbollah ist das Ergebnis des ersten Libanonkrieges«, sagte Meir Dagan, ehemaliger Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad und heute scharfer Kritiker der Sicherheitspolitik Israels, in einem Vortrag vor Offiziersanwärtern: »Sie muss uns lehren, dass wir uns vor jedem Krieg einen Überblick über alle Möglichkeiten verschaffen müssen. Politik und Sicherheitsdienste müssen eng zusammenarbeiten.«

Abgesehen davon, dass Dagans Aussage neue Kriege nicht ausschließt: Vor 30 Jahren gab es diese Zusammenarbeit jedenfalls nicht. Der israelische Einmarsch in die libanesische Hauptstadt Beirut, die Massaker christlicher Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila, das Vakuum, das im Nachbarland Israels entstand und den Platz für den Aufstieg der Hisbollah frei machte - das war nicht geplant.

Nachdem Anfang Juni 1982 ein Anschlag auf den israelischen Botschafter in London verübt worden war, den der Diplomat nur knapp überlebte, ordnete das Kabinett des konservativen Premierministers Menachem Begin den Einmarsch in Libanon an, von wo aus die PLO immer wieder Anschläge auf Ziele in Israel verübt hatte.

Innerhalb von 48 Stunden sollten die PLO-Kämpfer so weit wie möglich in Richtung Norden zurückgedrängt werden. Heute ist bekannt, dass der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon ein ganz eigenes Ziel verfolgte: Er wollte in Libanon »eine neue Ordnung« herstellen, wie er später vor einem Untersuchungsausschuss zu Sabra und Schatila aussagte: In Libanon sollte mit Hilfe der verbündeten christlichen Milizen eine stabile, Israel freundlich gesinnte Regierung installiert werden. Es gilt als sicher, dass nicht einmal Premier Begin in diese Pläne eingeweiht war. »Damals wurden die Kabinettsmitglieder vom Generalstab per Telefon darüber informiert, dass die Armee bereits mitten in Beirut steht«, erinnerte sich ein Mitarbeiter Begins im Jahre 2006 anlässlich des zweiten israelischen Libanon-Krieges in einem Fernsehinterview. »Begin war außer sich vor Wut: Es gab keine Abstimmung mit den Geheimdiensten, keine Diskussion im Kabinett. Scharon hatte einfach so entschieden, dass nun Nägel mit Köpfen gemacht werden.«

Drei Wochen später verließen Palästinenserführer Yasser Arafat und 11 000 PLO-Kämpfer Libanon auf dem Seeweg. Es war eine Kompromisslösung. Unter dem massiven Druck der eigenen Öffentlichkeit suchte Israels Regierung nach einem schnellen Ausweg - der längst verbaut war: Der Krieg hatte dazu geführt, dass Libanon noch tiefer ins Chaos sank, dass sich die islamisch orientierten Milizen zur Hisbollah zusammenschlossen und Syrien in Libanon intervenierte. Am Ende dauerte es nicht 48 Stunden, sondern 18 Jahre, bis die letzten israelischen Soldaten aus Libanon abgezogen wurden.

Hat Israel die Lektion gelernt? »Bis 2006 jedenfalls nicht«, sagt Elijahu Winograd. Er war Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses, der sich mit dem zweiten Libanon-Krieg im Juli und August 2006 befassen musste: »Es wurden wieder ähnliche Fehler gemacht. Niemand hatte einen Plan gemacht, niemand hat auf den anderen gehört. Am Ende sind wieder sehr viele Menschen auf beiden Seiten gestorben.«

Wurde daraus die Lektion gelernt? »Ich hoffe es«, antwortete Meir Dagan am Ende seines Vortrags knapp auf die Frage eines Zuhörers. Mehr brauchte er auch nicht zu sagen. Jeder in Israel hat mittlerweile seine Warnungen vor einem Militärschlag gegen Iran gehört. In einer Zeit, in der Israel von Organisationen umgeben sei, die kämpfen wie Staaten, aber sich nicht wie Staaten vor der internationalen Gemeinschaft rechtfertigen müssen, sei ein solcher Schritt »selbstmörderisch«.

Warnungen, die israelische Regierungssprecher als »Privatmeinung eines alten Mannes« bezeichnen.

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