Glashütte stellt auf Normalzeit um

Manufaktur belebt Uhrmacherschule neu

  • Hendrik Lasch, Glashütte
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

In Glashütte wurde dieser Tage eine Uhrmacherschule eingeweiht. Damit wird nicht nur eine alte Tradition neu belebt, sondern nach Meinung des Bürgermeisters auch ein »Signal der Hoffnung« nach dem Hochwasser gegeben.

Denkwürdiger hätte das Datum in den Briefköpfen nicht sein können. Am 12.August wurden im Glashütter Uhrenbetrieb die Einladungen für die Eröffnung einer neuen Uhrmacherschule verschickt. An diesem Tag goss es über dem osterzgebirgischen Städtchen wie aus Kannen. Im Laufe des Nachmittags schoss das Wasser der Müglitz immer höher durch die Straßen. Das Bächlein verwüstete erst Bürgersteige, dann Läden und ganze Häuser. Ein Dammbruch führte in dem Tal schließlich zu ungeahnten Verheerungen. Die Uhrenmanufaktur war nur leicht betroffen. Die Flut hielt wenige Zentimeter über der Schwelle an. Es ist diese Vorgeschichte, die Glashüttes Bürgermeister Frank Reichel beim Festakt zur Schuleinweihung mit leichtem Pathos von einem »Signal der Hoffnung« sprechen lässt: Während neben dem kaputten Bahnhof ein ruiniertes Haus auf den Abbruch wartet, das Kosmetikstudio seine Kunden noch immer vertrösten muss und Pflasterer am Rand der Äcker hantieren, die unlängst noch Straßen waren, gibt es in der Stadt wieder Grund zum Feiern. 60 Lehrlinge sollen demnächst in der Schule zu Uhrmachern ausgebildet werden, 30 werkeln heute schon in den Kabinetten. Sie sollen den weltweiten Ruf des Uhrmacher-Städtchens bewahren. Und, sagt der Bürgermeister: »Sie sollen natürlich hier wohnen bleiben.« Die Chancen stehen gut. Glashütte erlebte seit Mitte der 90er Jahre ein kleines Wirtschaftswunder - vor allem dank der Edeluhren, die den Namen der Stadt bekannt machten. Marken wie Glashütte Original, Union oder Nomos bringen weltweit die Augen von Liebhabern zum Leuchten. Die teuren, handgearbeiteten Stücke, für die nicht selten fünfstellige Beträge zu zahlen sind, gelten als Inbegriff von Formschönheit und technischer Raffinesse. Es sind »Kunstwerke, die den Vorteil haben, auch noch einem nützlichen Zweck zu dienen«, sagt Kurt Biedenkopf, Hobby-Uhrmacher und Ex-Ministerpräsident. Die Uhrmacherschule ist die vorerst letzte Drehung an dem Rädchen, das Glashütte in den letzten Jahren wieder zum Ticken brachte. Zuvor hatten die Treuhand und windige Manager zwar die Belegschaft des Uhrenbetriebes von 2800 auf 400 geschrumpft, ansonsten aber wenig getan, um das Unternehmen auf die Neuzeit einzustellen. Erst der heutige Geschäftsführer Heinz W. Pfeifer, der ab 1994 auf den kleinen, aber gewinnträchtigen Markt der Luxusuhren setzte, sorgte nach langjähriger Unruhe wieder für gleichmäßige Schwingungen. Die Regierung Biedenkopf gab Rückenwind - was die Belegschaft später dazu bewog, dem Kabinettchef einen während eines Subbotniks entstandenen Edel-Chronographen zu verehren. Heute bescheinigt selbst der Schweizer Hanspeter Rentsch den Glashüttern, für die schönsten Sternstunden der Uhrenbranche zu sorgen - neben den Schweizer Herstellern, wie das Mitglied im Konzernvorstand der Swatch-Group hinzufügt. Das Kompliment darf als einigermaßen ehrlich gelten: Swatch hat den Glashütter Uhrenbetrieb im vorigen Jahr gekauft. In dem 22000 Mitarbeiter zählenden Konzern, unter dessen Dach bereits 18 renommierte Uhrenmarken gefertigt werden, scheint man von der Leistungskraft des Glashütter Betriebs überzeugt zu sein. Gegenwärtig surren die Geschäfte im Osterzgebirge wie ein Uhrwerk - in Glashütte verdienen 600 Menschen mit der Uhrenherstellung ihr Geld. Damit das auch künftig so bleibt, wurde die Uhrmacher-Schule neu gegründet. Sie tritt das Erbe einer 1878 eingeweihten Einrichtung an, die Glashütte nach Ansicht ihrer Begründer von der »Schweizer Bevormundung« befreien sollte. Die Schule war in den 50er Jahren in eine Ingenieurschule umgewandelt worden, für die Lehrlinge wurde eine Berufschule eingerichtet. Nach dem Neubeginn 1994 dauerte es aber ganze sieben Jahre, ehe im Betrieb wieder ausgebildet wurde. Die neue Schule soll nun »Fachleute in der Region halten, in der Industrie verankern und glücklich werden lassen«, wie Rentsch fast poetisch formulierte. Von der Schule wird auch der Mutterkonzern profitieren: In der Schweiz mangelt es an Uhrmacher-Nachwuchs. Swatch kann den Glashütter Lehrlingen daher eine Anstellungsgarantie geben - in ihrem Ausbildungsort oder einer der weltweit 156 anderen Fabriken. Im Erzgebirge gehen im Schnitt 20 Bewerbungen je Lehrstelle ein. Ausgewählt wird in einem Testverfahren. Schwierigste Aufgabe der Neulinge ist es, eine Schraube mit Gewindestärke M 0,6 einzufädeln. Nach drei Lehrjahren sollten die Experten auch Fähigkeiten erworben haben, wie sie Lehrling Yvonne Treppe aufzählt: »Ordnungsliebe, Ausgeglichenheit, gute Feinmotorik«. Derlei Tugenden gehen auf Alfred Helwig zurück, einen Gründervater der Glashütter Uhrenindustrie und Namenspatron der neuen Schule. Er mag den Lehrlingen auch in anderer Hinsicht als Vorbild gelten: Mit Erfindungen wie dem »Fliegenden Tourbillon«, einer speziell gelagerten Unruh, verdiente der 1886 Geborene so viel Geld, dass er als zweiter Deutscher einen Bugatti kaufen und mit dem Edelgefährt durch Glashütte rollen konnte. Auf Bugatti fahrende Uhrenwerker wird man in Glashütte indes wohl noch eine Weile warten müssen - nicht...

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