Jungsein und andere Schwierigkeiten
Das Lichtblick-Kino zeigt am 12.8. mit »Abhaun!« ein Kurzfilmprogramm
Teenager sind eine merkwürdige Spezies Mensch. Unsicherheit und das Bedürfnis nach Orientierung kaschieren sie häufig hinter »Großklappigkeit«, einem aufgemotzten Äußeren oder Aggressivität. In dem Kurzfilmprogramm der »KurzFilmAgentur Hamburg« mit dem Titel »Abhaun!«, das am Sonntag, dem internationalen »Tag der Jugend«, im Lichtblick-Kino gezeigt wird, stehen Jugendliche im Fokus.
Was macht es mit einem jungen Menschen, wenn er sich die langen Haare abschneidet? In »Kokon« von Till Kleinert sieht man von dem Haupthelden (oder Heldin?) zunächst nur die Zotteln, die geschwungen, zerzaust oder einfach nur getragen werden. Dann lässt der Teenager sich die Haarpracht abschneiden. Dies geschieht in Zeitlupe, und die Kamera filmt dabei das androgyne Gesicht des jungen Menschen in Großaufnahme. Von den Mitschülern wird der Jugendliche anders wahrgenommen, auch hat er sein Schutzschild verloren. Aber letztlich geht alles weiter wie gehabt: Mutprobe bestanden.
Denn dass das Thema des Dazugehörens bei Heranwachsenden kapital ist, zeigen etliche der Kurzfilme. Deshalb bemüht sich auch der 15-jährige Richard, ein Junge kantonesischer Abstammung, in »Sister« (OmU, Regie: Daniel Mulloy), sich seiner britischen Umwelt besonders anzupassen. Doch als dann in einem Schulbus ein Mädchen ins Spiel kommt, fangen zwei Gleichaltrige an, ihn zu demütigen, so dass die forsche kleine Schwester einschreitet und Richard sich den Aggressoren stellen muss.
Um Mut, Feigheit und ein Vorbild geht es auch in dem eindringlichen Kurzfilm »Soft« von Simon Ellis. Zu der bitteren Erkenntnis, dass Erwachsene nicht allmächtig sind, kommt hier der verzweifelt mutige Teenager. Ein Vater, der kein Held ist und eine Bande Halbstarker sind weitere Protagonisten des Films, der, wie auch die anderen englische Filme des Programms, in einer Reihenhausvorstadt spielt.
Diese lässt ihren Charakteren wenig Raum zur Entfaltung. Langeweile und der bei Jugendlichen allgegenwärtige Gruppendruck führen auch in »Field« (OmU, Regie: Duane Hopkins) zu einem sinnlosen Akt der Gewalt. Zwei eher dumpfe halbwüchsige Jungs wollen einen dritten nicht in ihre Gemeinschaft aufnehmen, bis dieser die anderen beiden in ihrer Destruktionswut noch übertrifft.
Vor allem die englischen Filme und »Kokon« schöpfen die stilistischen Möglichkeiten des kurzen Filmformats aus: Sie verwenden Parallelmontagen oder Handyfilme und erzeugen Spannung durch ihr überschaubares bis klaustrophobisches Milieu, das sie geschickt zum Erzählen ihrer Geschichten instrumentalisieren.
Dagegen wirkt der österreichische Film »Apnoe« von Harald Hund - er handelt von einer unter Wasser lebenden Familie - eher verspielt. Auch »Abhaun!«, ein Schwarz-Weiß-Film von Christoph Wermke, kommt mit seiner Geschichte über die Stagnation in einer ostdeutschen Kleinstadt eher unschlüssig herüber. Immerhin ist darin Anna Maria Mühe als Provinzfriseurin Sandy zu sehen.
Der spannende Dokumentarkurzfilm »Mit Pferden kann man nicht ins Kino gehen« von Anna Shirin Wahle befragt dagegen in einer geschickten Montage Kinder und Jugendliche nach ihren Zukunftsvorstellungen, Träumen und Ängsten und fördert dabei erstaunlich homogene Antworten zu Tage.
Ein kleines Meisterwerk des Programms ist schließlich der - wiederum - englische Film »Def« (OmU) von Ian Clark. Ein stark hörbehinderter Jugendlicher träumt hier davon, Rapper zu werden. Mit Entschlossenheit, Mut und Solidarität zu seinem jungen, ebenfalls tauben Freund kann er sich schließlich - auf seine Art - gegen eine hirn- und herzlose Vorstadtclique und seine überforderte Mutter durchsetzen.
»Kurz gesehen: Abhaun!«, Sonntag, 12.08., 22 Uhr, Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77, Prenzlauer Berg, Telefon: 44 00 88 43; www.lichtblick-kino.org/lichtblick.php/
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