Ein Atommeiler in Berlin?
Fragwürdig
nd: Sie sind Co-Autor eines soeben erschienenen Buches, in dem es vor allem um Pläne des Berliner Senats in den 1960ern und 1970ern geht, in Berlin ein Atomkraftwerk zu bauen. Wie kamen Sie denn zu diesem Thema?
Sternberg: In dem Buch »Die Ära der Ökologie« spricht der Autor Joachim Radkau davon, dass es Pläne gab, am Wannsee ein Atomkraftwerk zu bauen. Das haben wir nachrecherchiert im Archiv des Stromversorgers Bewag, heute Vattenfall, und im Landesarchiv Berlin.
In den 1970ern gab es dann ein weiteres Vorhaben, beide konnten sich aber nicht durchsetzen. Lag das eher an Sicherheitsbedenken oder eher an der politischen Großwetterlage?
Beim ersten Projekt lag es ganz klar an der politischen Großwetterlage. Der Standort war sehr nahe am Griebnitzsee gewählt und somit an der Grenze zur DDR, zum Bezirk Potsdam. Allen Beteiligten war klar, dass das Kraftwerk nicht errichtet werden könnte, ohne mit den DDR-Behörden Gespräche aufzunehmen. Das war aber in der Zeit des Kalten Krieges - und wir reden vom Zeitraum 1960 bis 1961, also den Monaten direkt vor und nach dem Mauerbau - völlig unvorstellbar, sowohl für die Westberliner als auch für die Westalliierten.
Die Sicherheitsbedenken wurden kaum thematisiert. Es gab Gutachten der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) und des TÜV, die davon ausgingen, dass das Kraftwerk absolut sicher sei und dass es damit auch nicht relevant sei, ob es in einem dicht besiedelten Gebiet stünde. Von der Sicherheitsseite her gab es grünes Licht für ein Kraftwerk an diesem Standort.
Wie lief es beim zweiten Anlauf in den 1970ern?
Mit Ruhleben im Bezirk Spandau wurde ein noch viel stadtnäherer Standort gewählt, um das Kraftwerk ans Fernwärmenetz ankoppeln zu können. Dort wurde schon befürchtet, dass es Bürgerproteste geben könnte, was Anfang der 1960er überhaupt kein Thema gewesen war. Die Sicherheitsfrage wurde nun etwas höher gehängt. Sie war aber nicht ausschlaggebend. Es waren im Endeffekt ökonomische Gründe, warum das zweite Kraftwerk nicht gebaut wurde. Und politische Gründe insofern, als es parallel einen längeren Prozess in Ludwigshafen gab, wo die BASF mitten auf ihrem Werksgelände, im Ballungsraum Ludwigshafen-Mannheim, ein Atomkraftwerk errichten wollte. Das wurde aber im bundespolitischen Prozess so verzögert, dass die BASF den Plan zurückzog.
Parallel dazu gab es die ersten Proteste in Wyhl und Brokdorf. Das spielte auch mit hinein in die Entscheidung des Stromversorgers Bewag und des Berliner Senats, das Projekt in Ruhleben nicht weiter zu verfolgen.
Laut dem Historiker Joachim Radkau soll es noch 1969/70 ein »allgemeines Drängen auf großstadtnahe Kernkraftwerke« gegeben habe.
Es gab Gedankenspiele in den 1950ern und auch in den 1960ern. Die BASF und, was weniger konkret wurde, Ruhleben waren sozusagen die Probe aufs Exempel. Die Grundidee war: Wenn die Atomkraftwerke ohnehin absolut sicher sein müssen, dann könnte man sie ja auch in Ballungsräume bauen. Fragen: Ralf Hutter
Katja Roeckner / Jan Sternberg: Berlin atomar. Die Atomkraftwerkspläne für die Hauptstadt, Vergangenheitsverlag 2012, Klappenbroschur, 124 S., 20 Abb., 14,90 Euro
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