Die eigene Wahrnehmung prüfen
Bei Podbielski gestalten zwei Künstler Schwellenzustände und verlockende Orte
Von ganz eigener Wahrnehmung und unwirklichen Grenzzuständen handelt die aktuelle Ausstellung bei Podbielski Contemporary. Zwei Künstler kommen dabei zusammen, die sich möglicherweise vorher kaum kannten und einander im Arbeitsansatz doch ähneln. Als fotografischer Autodidakt hat Andréas Lang, Jahrgang 1965 und gebürtig aus der Pfalz, Schlagzeuger in einer Punkband und dann auf ein Jahrzehnt Assistent internationaler Fotografen in Paris, mit seinen Großformaten eine Aura des Geheimnisvollen erreicht, die gefangen nimmt und nachdenklich stimmt. Natur, Landschaft, Orte wurden dabei seine Bildthemen, bei denen man vergeblich Menschen sucht. Sie haben lediglich ihre Spuren in den Sujets hinterlassen, sind gewissermaßen in der Abwesenheit anwesend. Weltweite Reisen von Europa über den Vorderen Orient bis nach Australien treiben Lang um, immer auf der Suche nach trächtigen Motiven. Mehrere Langzeitprojekte sind so entstanden und haben ihn auch nach Kairo und Damaskus geführt, wo zerstört sein könnte, was er festhielt, jüngst auf postkolonialen Spuren nach Afrika. Die Hälfte der zwölf bei Podbielski ausgestellten Arbeiten stammt von ihm.
»Von Liminalität und anderen verlockenden Orten« heißt etwas kryptisch die Schau. Der Begriff Liminalität bezeichnet in der Ethnologie den Schwellenzustand von Individuen oder Gruppen, sobald sie sich rituell von der geltenden Sozialordnung gelöst haben: So sind Jugendliche bei der Initiation weder Jugendliche mehr noch schon Erwachsene, mithin in einer Übergangsphase wie Adoleszente oder Gesellschaften während einer Revolution. In der Kunst greift das zwar einige Potenzen kleiner, umschreibt aber dennoch einen Grenzzustand. Langs »Wartezimmer« in Berlin, 2007, zeigt fotografisch eingedüstert den Winkel eines edel mit Terrazzo ausgelegten Raums, der den Blick durch die Tür auf ein abgesperrtes zweites Zimmer freigibt; links neben dem Türrahmen steht auf fahrbarem Gestell weiß abgedeckt irgendein Gerät, das die mystische Atmosphäre verstärkt. Die wirkt auch noch im Foto einer Hausfassade nach: »In Kastilien«, 2009, porträtiert von einem Zebrastreifen aus das Gebäude mit verschlossenen Fenstern und Eisengeländern davor; die Tür verdeckt ein Tuch mit grell blauweiß gemalter Winterlandschaft und Gemsen auf den Bergen.
Der »Jungle« in den USA, 2007, in seiner tropischen Vegetation und dem flirrend hängenden Lianengeflecht schaut aus wie die Kulisse einer Theateraufführung; »Rote Sonne«, München, 2008, ist eine Bar in Wartestellung, mit im Knitterlook bespannten Wänden, Hockern, Lautsprechern, von Menschenhand vollkommen bekritzelten Pfeilern - sie einzig weisen auf reale Nutzung des Ortes hin.
Die 1977 in Florenz geborene, in Bologna zum Master graduierte Cristiana Palandri forscht mit Plastiken und Installationen den erwähnten Schwellenzuständen nach. So kleidet sie ein Berliner Arzneimittelschränkchen mit Spiegeln aus, in denen sich das Foto des Sternenhimmels, wie sie ihn von ihrem Atelier aus über dem Stadtbad Wedding sah, ins Unendliche fortsetzt. Die offene Tür des Schränkchens lädt den Betrachter ein, die Blickschwelle zu überschreiten. Bei zwei Algendarstellungen trifft das analog zu: Auf weißen respektive geschwärzten Gips hat Palandri jene Ornamente gemalt und ihnen danach eine helle Paraffinschicht aufgebracht. Anmutig schweben die Figuren nun hinter milchiger Substanz wie Zeichen aus einer entrückten Welt. Auch ihre fein und kalligraphisch zart auf Pergament gezeichneten Formen, die, mehr angedeutet als ausgeführt, Insekten, Libellen assoziieren, eröffnen Einsichten in sensible Gedankenwelten.
Ganz klar den Dialog mit dem Betrachter sucht Palandris Skulptur »Mimesis«. Aus den kleinen schwarzen Würfeln, die sich auf einem Tischchen mit spitz auslaufenden dünnen Beinen türmen, quillt Material, wie man es in Shows verwendet: winzige Glitzersplitter, Federn, Silberfäden, Glanznadeln. Vollgepresst sind die Kästchen und notdürftig mit schwarzgetränktem Mull oder Holz verschlossen, jederzeit bereit, aufzuplatzen, eine Schwelle zu überschreiten und in einen neuen Zustand überzugehen, den des Zerfalls.
Bis 8.9., Di-Sa 12-18 Uhr, Podbielski Contemporary, Koppenplatz 5, Mitte, Telefon: 24 08 82 38, www.podbielskicontemporary.com
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