Grüner Hügel statt gelber Kuchen

Direkt am Dresdner Stadtrand arbeitete die »Uranfabrik 95«. Die Sanierung ihres strahlenden Erbes dauerte fast 20 Jahre

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 6 Min.
Am Stadtrand von Dresden wurde bis 1962 Uranerz aufbereitet. Die strahlenden Abfälle landeten in offenen Teichen. 1993 wurde mit der Sanierung begonnen. Nach fast zwei Jahrzehnten ist sie jetzt abgeschlossen.

Wer viel am Rechner sitzt, hat wenig körperliche Ausarbeitung. Rolf Heinemann weiß das gut. »Ich muss meine Informatiker bewegen«, sagt der Chef der Robotron Datenbank-Software GmbH: »Sie können nicht immer nur vor dem Bildschirm hocken.« Also animiert der Unternehmer seine 300 Mitarbeiter zum Sport. Im Foyer des Firmengebäudes, das am Dresdner Stadtrand im Gewerbegebiet Coschütz-Gittersee steht, gibt es eine Kletterwand. Und direkt vor der Tür erstrecken sich reizvolle Laufstrecken: Hügelauf, hügelab schwingen sich schmale Wege ins grüne Tal des Kaitzbachs.

Vor rund 20 Jahren hätte in dem Tal niemand joggen wollen. Es habe sich um eine »recht verrufene Gegend« gehandelt, sagt Heinemann. Nicht, weil dort finstere Gestalten ihr Unwesen getrieben hätten. Die Bedrohung war unsichtbar, dafür aber um so gefährlicher. Der Boden am Kaitzbach und auf umliegenden Höhen war mit Chemikalien getränkt, mit Schwermetallen - und mit Strahlenmüll. Die Ängste waren entsprechend groß. Heinemann erinnert sich an die Visite eines Wirtschaftsbürgermeisters. Der Politiker erschien im Schutzanzug.

Der giftige Cocktail im Boden von Gittersee war eine Hinterlassenschaft der Uranverarbeitung. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Sowjetische, ab 1954 dann Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut begonnen, Uranvorkommen im Osten Deutschlands zu suchen und auszubeuten. Das Uran sollte der Sowjetunion helfen, auf den Abwurf zweier Atombomben über Japan durch die USA zu reagieren. Fündig wurde man vor allem im Erzgebirge, wo böhmische Glasbläser Uranverbindungen schon lange nutzten, um Gläser zu färben. Aber auch Kohleflöze in der Gegend um das sächsische Freital enthielten Uranerz. Um es zu gewinnen, wurde die Braunkohle auf dem Collmberg verbrannt - ein schmutziges Verfahren mit üblen Folgen für die Gesundheit der Bergleute. Die Anlagen zur Weiterverarbeitung wurden einige Kilometer weiter am Rand von Dresden gebaut: die »Uranfabrik 95«.

Wer heute über die Hügel am Kaitzbach spaziert, kann nur schwer nachvollziehen, warum die Uranfabrik 95 ausgerechnet hier errichtet werden musste. Zu Füßen der Hügel erstreckt sich der lang gezogene Kessel des Elbtals, in dem die Halbmillionenstadt liegt. Der Wind streicht meist zunächst über diese Höhen, bevor er in die Senke weht. Der Bach fließt von hier aus in die Stadt, bevor er im Großen Garten, einer großen Parkanlage, in den Carolateich mündet. Dreck, der hier oben freigesetzt wird, wäre schnell in der Stadt gelandet.

Trotzdem wurde der Bach in den 50er Jahren in eine Röhre von 800 Metern Länge verlegt und oberirdisch durch Dämme abgeriegelt, die bald wegen fehlender Stabilität kritisiert wurden. In die so entstandenen Teiche wurde der Schlamm gekippt, der in der Uranfabrik 95 als Abfall entstand. In der Anlage wurde mittlerweile auch Uranerz aus dem Erzgebirge verarbeitet - bis zur Schließung im Jahr 1962 rund 3,8 Millionen Tonnen. Aus ihnen wurden 7000 Kilogramm Uran gewonnen - und zwar durch chemische Auslaugung. Das Erz wurde dabei mit konzentrierter Schwefelsäure behandelt. Es entstand ein Uranoxid-Pulver, das wegen seiner Farbe »yellow cake« genannt wird - gelber Kuchen. Außerdem entstand giftiger, strahlender Schlamm, der in die Teiche gekippt wurde; ohne Abdichtung nach unten oder oben.

Das gelbe Pulver war auf dem Gelände der früheren Uranfabrik allgegenwärtig, sagt Christian Korndörfer, der Chef des Dresdner Umweltamtes: »Bis in zwölf Meter Tiefe haben wir es im Boden gefunden.« Das war ab 1993, gut 30 Jahre nach Ende der Uranaufbereitung. Zuvor waren in die Fabrikgebäude ein Chemiebetrieb und ein Reifenwerk eingezogen; ihre Arbeiter hatten wenig über die Vorgeschichte und die Verseuchung des Geländes erfahren. Die trat erst wieder ins Bewusstsein, als das Reifenwerk - ein Teil des Kombinats Pneumant - nach dem Ende der DDR von der Treuhand privatisiert werden sollte. Die Altlasten im Boden erwiesen sich als ernstes Hindernis für einen Verkauf - aber nicht nur das. Eine radioaktive Deponie am Stadtrand: Das sei, sagt Korndörfer, auch als »Gefährdung für das Prestige der Stadt Dresden« gesehen worden.

Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde vor knapp zwei Jahrzehnten ein ehrgeiziges Projekt zur Sanierung angeschoben. Sie oblag, anders als viele Arbeiten im Westerzgebirge oder rund um das thüringische Ronneburg, nicht der Wismut. Vielmehr wurde das 72 Hektar große Areal von der Stadt Dresden erworben; sie entwickelte auch ein Konzept dazu, wie mit den giftigen und strahlenden Altlasten umzugehen ist. 1993 wurden die Arbeiten gestartet; das Vorhaben wurde eines von 20 ökologischen Großprojekten in Ostdeutschland. Die Arbeiten dauerten fast zwei Jahrzehnte: Erst Anfang dieser Woche wurde die letzte Halde fertiggestellt.

Zunächst hielt sich die Begeisterung vor allem der Anwohner in Grenzen, bei denen sich Angst über die neu entdeckte radioaktive Belastung breit machte. »Sie haben die Sanierer mit den Verursachern verwechselt«, erinnert sich Korndörfer: »Wir bekamen den Frust ab, den einst die Wismut verdient hätte.« Auch mancher Geldgeber verlor angesichts der Mammutaufgabe zwischenzeitlich etwas die Geduld. Ein Abteilungsleiter im Berliner Umweltministerium riet einst, das Gebiet mit Stacheldraht einzuzäunen, sagt Korndörfer - ein Ansinnen, das man in Dresden dankend ablehnte.

Inzwischen dürfte man auch im Berliner Ministerium stolz auf die Sanierung sein - zumal diese statt geplanter 76 nur gut 45 Millionen Euro kostete: »Nicht jedes öffentliche Bauvorhaben muss teurer werden als geplant«, sagt Korndörfer. Versöhnt sind auch die Anwohner in Coschütz und Gittersee. Wer heute auf den Wanderwegen entlang des Kaitzbachs unterwegs ist, kann nur noch ahnen, welche Herkulesaufgabe bewältigt wurde. Von den Gebäuden der früheren Uranfabrik 95 ist schon seit Jahren nichts mehr zu sehen; statt dessen stehen in einem unauffälligen Gewerbegebiet nüchterne Hallen und Bürogebäude von Firmen wie Robotron. Lediglich der Russischbrot-Hersteller Dr. Quendt sorgt hier für duftende Abwechslung; zudem glitzern die Tanks der Brauerei »Feldschlösschen« im Sonnenlicht. 56 Firmen mit gut 2400 Beschäftigten haben heute in der einst »verrufenen Gegend« ihren Sitz.

Wesentlich mehr Zeit nahm die Sanierung der Schlammteiche in Anspruch. In diesen lagerten drei Millionen Kubikmeter so genannter »tailings«: sandige oder pastose Abfälle der Uranherstellung. Sie wurden mit den Abbruchresten der Fabrik überdeckt; zuvor hatte die Stadt bereits Hausmüll hier entsorgen lassen. Insgesamt 1,7 Millionen Kubikmeter Abfälle und Erde wurden in Form von zwei Halden über die strahlenden Tümpel getürmt. Kaum ein Passant ahnt, dass die beiden grünen Hügel in ihren Tiefen 1500 Kilogramm Uran überdecken, dazu rund 10 000 Tonnen Arsen, Blei, Cadmium und andere Schwermetalle. »Wir haben eine neue Lagerstätte hergestellt«, sagt Korndörfer und betont, die Deckschicht sei so gestaltet, dass keine radioaktiven Gase und kein Sickerwasser austreten können. Von den Halden gehe »bis zur nächsten Eiszeit keine Gefahr mehr für die Bevölkerung, die Umwelt und Natur aus«, sagt Korndörfer. So lange können die Computerarbeiter von Robotron beruhigt joggen.

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