Platzhirsche

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Niemand kann das Problem der Gentrifizierung in Berlin ernsthaft leugnen oder als Petitesse abtun. Dem schlimmen Mechanismus, der durch steigende Mieten Stammbevölkerungen aus ihren Stadtvierteln vertreibt, muss entschieden entgegengetreten werden. Eine wichtige Frage ist dabei aber die Wahl der Mittel und der Strategie. Das pauschale Anfeinden von Touristen, Zugezogenen und Kultur kann man gerade im gottlob zumeist (noch) weltoffenen Berlin nur als kleinkariert und heuchlerisch abtun.

Auch sollte man genau zwischen den Steinen des Anstoßes differenzieren. So ist Unmut über und Protest gegen die fatale Spree-Ufer-Bebauung oder die massenhafte Umwandlung von Wohnraum in Eigentums- und Ferienwohnungs-Appartments sehr zu begrüßen. Spießig und abwegig sind dagegen Aggressionen gegen Kunstgalerien, Latte Macchiato- oder Bioläden. Schließlich haben auch die Neuköllner Besseres verdient, als eine reine Nachbarschaft aus Suffkneipen, Spielhöllen und Aldi-Märkten.

Und wertet nach Lesart eines Teils der Anti-Gentrifizierungsbewegung nicht auch der deutsche »Anarcho«, der im gotischen Viertel Barcelonas auf Durrutis Spuren wandelt, jenes auf? Hat er es verdient, als Vorbote der Vertreibung verunglimpft zu werden? Natürlich nicht - ebenso wenig wie die spanischen Jugendlichen in Berlin. Ja, Touristen mögen manchmal nerven, aber einen Rollkoffer zu ziehen, bedeutet noch lange nicht, dass dieser voller Geld ist.

Auch sind einstige Gentrifizierer zum Teil heute die heftigsten Verteidiger gegen jene Kiezveränderungen, die sie selber eingeleitet haben. So galten die ersten Bioläden im Kreuzberg der 70er Jahre als Schlag gegen Supermarktketten. Und ist in Berlin nicht gefühlt fast Jeder ein Zugezogener? Die Tendenz, sich aber schon nach einer kurzen Schonfrist als Platzhirsch zu gebärden, kann gut mit dem vielzitierten Satz der Frankfurter Schule illustriert werden: »Die schlimmsten Kritiker der Elche waren früher selber welche«.

Das einzig sinnvolle Instrument gegen Verdrängung ist eine Mietendeckelung durch Gesetze. Hier sind der Senat und der Bund in der höchsten Pflicht, gegen das drängende Problem der unwürdigen Vertreibung endlich vorzugehen. Hier muss auch Druck gemacht werden - doch genau dafür ist das Lamento über shoppende Schwaben kontraproduktiv, weil es von den tatsächlich Verantwortlichen für die Misere ablenkt. Man darf also die (Ess-, Café- und Kunst-)Kultur nicht aus »armen« Kiezen verbannen, denn das bedeutet Ghettobildung und die Bewohner von den einzigen Vorteilen des Großstadtlebens abzuschneiden »Wir bleiben alle«, sollte also meinen: die »Armen« UND die urbane Lebensqualität.

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