Ein Thälmann für Ziegenhals

Das geheimnisvolle Überdauern eines Denkmals und ein Angebot zur Umsiedlung

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 4 Min.
Udo Fetzer zeigt die von ihm aufbewahrten Teile eines Thälmann-Ehrenhains aus Welzow
Udo Fetzer zeigt die von ihm aufbewahrten Teile eines Thälmann-Ehrenhains aus Welzow

Beinahe drei Meter breit, einen Meter hoch und ein Bekenntnis in großen Lettern »… mein ganzes Leben gekämpft zu haben, darauf bin ich stolz. Ernst Thälmann«. Dazu ein 50 Zentimeter hohes Relief des einstmaligen KPD-Vorsitzenden und einen Meter breit die Daten 1886-1944, die Jahre der Geburt und der Ermordung. Die Rudimente des Denkmals stammen aus einem Ehrenhain der Puschkin-Oberschule in Welzow. Der heute 71-jährige Udo Fetzer hatte sie 1990 vom Mauerwerk des Ehrenhains abgetrennt, die schweren weil gusseisernen Teile auf den Hänger seines Autos geladen und sie fortan in seiner Garage in Jacobshagen bei Templin aufbewahrt.

Nicht nur, weil damals vieles an Geschichtsträchtigem in Müllcontainern verschwand, sondern er es für einen absurden und schlimmen Frevel hielt, die Erinnerung an Thälmann wegen veränderter politischer Gegebenheiten zu entsorgen. Schließlich war der Thälmann-Hain auch ein wenig sein Werk gewesen. Denn er hatte über Jahre als Lehrer und Direktor der Puschkin-Schule gearbeitet.

Im Winter gab es keine Kohlen

Fetzer war ein Kriegskind, erinnert sich gut der Bombennächte nahe Dresden anno 1945. Den roten Feuerschein und die dumpfen Einschläge hat er nie vergessen können. »Erst mit den Jahren begriff ich, was dort geschehen war«, sagt er. Er lernt den Beruf eines Traktoristen, dient als Freiwilliger in der NVA, studiert in der sogenannten Werktätigenklasse an einer Hochschule, auf einem Bildungsweg, der Leuten mit einiger Berufs- und Lebenserfahrung vorbehalten war, wird Lehrer.

Als er nach Welzow kommt, findet er einen uralten Schulkomplex vor. Das erste Haus wurde 1799 von einem Rittergutsbesitzer gebaut. Die aufkommende Glasindustrie und eine Feuersbrunst machten weitere Gebäude nötig. Das der heutigen Puschkin-Schule entstand 1932. Bis 1943 »verlief der Unterricht rein äußerlich normal«, so eine Schulchronik. Dann mussten die Häuser für ein Lazarett geräumt werden. Erst im Oktober 1945 wurde dort wieder unterrichtet. Im Winter 1946 gab es keine Kohlen, weshalb die Schüler immer nur ihre Hausaufgaben abholten. 1985/86 wurde das Schulgebäude rekonstruiert. Dafür gab der Staat 360 000 DDR-Mark aus. Darüber hinaus entstand eine Turnhalle. 1994 wurde die Schule unter Denkmalschutz gestellt. Über das Schicksal des Thälmann-Gedenkhaines findet sich übrigens in der Chronik nichts.

Fetzer hatte also mit der Puschkin-Schule 1983 eine traditionsbeladene Lehrstätte übernommen, aber zugleich eine, der es aus seiner Sicht ein wenig an Profil fehlte. Nachholbedarf sah er beispielsweise in der Traditionspflege. Kaum ein Schüler wusste, wer der russische Dichter war, was und vor welchem Hintergrund er es geschrieben hatte. Und nach einer Debatte unter Lehrern und Schülern entstand vorwiegend in Eigenleistung ein ihm gewidmetes Lehrkabinett. Als die Weisung von oben kam, angesichts des fortschreitenden kalten Krieges »vorbereitende Maßnahmen zur gesicherten Unterbringung der Kinder« für den Ernstfall zu treffen, begann das große Grübeln, wie Udo Fetzer sagt. Er wusste aus seiner NVA-Zeit um Waffenwirkungen und damit über die weitgehende Begrenztheit solcher Schutzbauten.

Ein Werk der Kinder und Jugendlichen

Da die Schule aber einstmals in Vorkriegszeiten schon bei der Planung und beim Bau bei Bedarf als Lazarett vorgesehen war, hatte man die Keller tiefer als gewöhnlich ins Erdreich getrieben, die Betondecken verstärkt und Erdwälle angeschoben. Das so entstandene unterirdische Gewölbe bauten Fetzer und seine Schüler zu einer Art Jugendclub um. In der höheren Behörde war man zufrieden. Und die Schule hatte einen attraktiven Freizeittreff.

Auch der Thälmann-Ehrenhain wurde zu einem erheblichen Teil ein Werk der Kinder und Jugendlichen, der Lehrer und des Direktors. Man wollte einen würdigen Ort schaffen, an dem u.a. gute schulische oder sportliche Leistungen geehrt werden konnten. Ideen steuerten viele bei. Ein früherer Schüler, der in einem Metallbaubetrieb arbeitete, übernahm die Ausführung, die Stadtverwaltung die Kosten. Die FDJ-Kreisleitung spendete das Porträt. Eltern errichteten aus roten Klinkern die Gedenkmauer, die verfugt wurde, nicht verputzt.

Als Udo Fetzer im »nd« liest, dass ein Areal gegenüber der abgerissenen Thälmann-Gedenkstätte im zu Königs Wusterhausen gehörenden Ziegenhals gekauft wird und ein neuer Ehrenhain entstehen soll, kam ihm der Gedanke, die vor Schmähung, Entehrung, Vandalismus und Schändung geretteten Denkmalsteile aus Welzow zu diesem Zwecke zu spenden. Sie könnten nach reichlich zwanzig Jahren auf irgendeine noch zu findende Weise in das Ensemble einbezogen werden, denkt Udo Fetzer. Er bietet das dem in Königs Wusterhausen agierenden Aktionsbündnis an.

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