Im Sinne der Betroffenen?
Rechtsanwältin Stella Schicke über die Probleme der Justiz mit den Unterkunftskosten von Hartz-IV-Beziehern
Schicke: Das Gericht in Mainz hält die derzeitigen Regelungen für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und orientiert sich dabei an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2010 - das so genannte Hartz-IV-Urteil. Über die Verfassungsmäßigkeit hat das Bundesverfassungsgericht zu befinden.
Also wird sich Karlsruhe demnächst auch mit den Kosten der Unterkunft befassen?
Die Richter haben erst mal eine Berufung an das Landessozialgericht zugelassen. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht haben sie nicht beschlossen. Entweder kann das Landessozialgericht eine solche Vorlage an Karlsruhe beschließen oder die Kläger müssten nach Abschluss der Instanzen eine Verfassungsbeschwerde einlegen. Es ist jedoch fraglich, ob das Bundesverfassungsgericht die grundlegenden Bedenken teilt, weil es bereits im Hartz-IV-Urteil auf diesen Aspekt hätte hinweisen können.
Das Gericht in Mainz verwarf den in Paragraf 22 des Sozialgesetzbuches verwendeten Begriff »angemessene Miete« als zu pauschal. Kommt diese Erkenntnis nach sieben Jahren Hartz IV nicht etwas spät ?
Das Bundessozialgericht hat 2009 entschieden, dass die angemessenen Unterkunftskosten nach einem schlüssigen Konzept ermittelt werden müssen, und dafür bestimmte inhaltliche Voraussetzungen aufgestellt. Seit dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Jahre 2010 hat sich das Bundessozialgericht darüber hinaus mehrfach mit dem Begriff der Angemessenheit und den Kosten der Unterkunft befasst, aber Konsequenzen hatte das bislang nicht. Das moniert auch das SG Mainz.
Also die Richter und Anwälte wünschen sich endlich mal eine klare Entscheidung aus Kassel?
Ja, weitere Präzisierungen sind sicherlich wichtig.
Aber was hält das Bundessozialgericht davon ab, hier eine klare Entscheidung zu treffen?
Das Problem ist, dass der Gesetzgeber diesen Begriff der Angemessenheit vorgegeben hat. Dabei handelt es sich aber um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der von der Verwaltung ausgefüllt und nicht als Inhalt des Leistungsanspruchs vom Gesetzgeber definiert wird. Bei den Kosten der Unterkunft kann man nicht so vorgehen wie bei den Regelsätzen, die ja pauschaliert sind. Aus einem einfachen Grund: Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist einfach sehr heterogen. Eine Wohnung in einer ostdeutschen Kleinstadt kostet weniger als eine vergleichbare Unterkunft in München. Wenn man da einen pauschalierten Betrag zugrunde legen würde, brächte man viele Betroffene ebenfalls in Schwierigkeiten.
Also ist die Schwammigkeit des Begriffs eher im Sinne der Betroffenen, weil die Verwaltung auch zu ihren Gunsten entscheiden kann?
Sollte die Behörde von unangemessenen Unterkunftskosten ausgehen, muss unter Berücksichtigung der Besonderheit des Einzelfalles geprüft werden, ob ein Umzug zumutbar ist. Diese Entscheidung kann natürlich im Sinne der Betroffenen ausfallen. Wenn etwa eine alte Frau, die schon seit über 40 Jahren in ihrem Viertel lebt, aus ihrer Wohnung ziehen soll. Oder wenn geprüft werden muss, ob man einer behinderten Person den Umzug zumuten kann. Eventuell kann ein Mehrbedarf an Wohnfläche gewährt werden. Es gibt also Möglichkeiten, dass Kosten der Unterkunft auch oberhalb der Angemessenheit gewährt werden.
Das klingt aber trotzdem nach richterlicher Willkür …
Ganz so schlimm ist es nicht. Die Städte müssen nach der noch gängigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein so genanntes schlüssiges Konzept vorlegen, um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu bestimmen. Daraus ergeben sich die Richtwerte, die dann die Angemessenheit bestimmen.
Sehen Sie als Expertin irgendwelche Möglichkeiten, die Gesetzgebung so zu reformieren, dass die Rechtslage klarer wird?
Meines Erachtens ist das schwierig und wohl nur auf Kosten der Betroffenen möglich. Wie die vom Gesetzgeber im letzten Jahr geschaffene Möglichkeit, dass die Kommunen die Angemessenheit der Wohnkosten per Satzung selbst definieren. Die Idee des Gesetzgebers ist, dass viele Prozesse unnötig werden, weil die Überprüfung des Unterkunftsbedarfs vereinfacht würde. Ob dies tatsächlich der Fall sein wird, ist fraglich. Ich weiß aus meiner Berufspraxis, dass es oft um Härtefälle geht, die nicht so einfach per Satzung zu erledigen sind. Die damit verbundenen Pauschalierungen der Wohnkosten sind darüber hinaus sozialpolitisch äußerst fragwürdig. Nach meinem Kenntnisstand hat bis auf Berlin kein Leistungsträger davon Gebrauch gemacht. Ob die im Mai 2012 in Kraft getretene Satzung in der Form weiter Bestand haben wird, wird das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bereits am heutigen Dienstag entscheiden.
Stella Schicke ist Fachanwältin für Sozialrecht und arbeitet für die Kanzlei Plagemann in Frankfurt am Main. Ihre Schwerpunkte sind Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilferecht. Schicke ist zudem Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltsvereins (DAV).
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