Die dümmste aller Religionen?

In Frankreich steht der Romanautor Houellebecq vor Gericht, weil er den Islam beleidigt haben soll

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Eigentlich ist doch alles ein großes Missverständnis...« Vor Gericht versuchte sich der Erfolgsautor Michel Houellebecq als Opfer darzustellen. Den Prozess am Dienstag vor der auf Pressedelikte spezialisierten 17.Kammer des Pariser Gerichtshofs haben die Klagen von vier islamischen Organisationen ausgelöst, darunter des Dachverbands der islamischen Gläubigen Frankreichs. Die Anklage lautet auf »Beihilfe zur Anstiftung zum Rassenhass« und »rassistische Beleidigung«. In seinem im Herbst vergangenen Jahres erschienenen Roman »Plattform«, in dem es vor allem um Sex-Tourismus in Südostasien geht, wird eine Frau bei einem islamistischen Attentat getötet und ihr Freund entwickelt Hass- und Rachegedanken, die viele Leser schockiert haben. »Jedes Mal, wenn ich erfuhr, dass ein palästinensischer Terrorist oder ein palästinensisches Kind oder eine palästinesische schwangere Frau im Gazastreifen erschossen worden war, bebte ich vor Begeisterung«, heißt es da beispielsweise. Houellebecq hat ja seit Jahren aus der Provokation sein Geschäft gemacht. Doch der Roman selbst stand vor Gericht nicht zur Debatte, sondern Houellebecqs Äußerungen in einem Interview für die Literaturzeitschrift »Lire«. Auf die antiislamischen Ausfälle in seinem Roman angesprochen, setzte der Autor noch eins drauf: »Der Islam ist nun wirklich die dümmste aller Religionen. Wenn man den Koran liest, ist man erschüttert, wirklich erschüttert!« Seit Anbeginn seines Bestehens sei der Islam eine »gefährliche Religion«. Auf den Einwand des Interviewers, ob dies nicht schon mehr als bloße Verachtung und nicht eher Hass sei, bekräftigte der Autor das noch: »Ja, ja, man kann von Hass sprechen.« Zugleich sagte er dem Islam ein baldiges Ende voraus, denn er werde zweifellos durch den kapitalistischen Materialismus abgelöst. »Man kann nur hoffen, dass dieser schnell siegen wird. Der Materialismus ist ein geringeres Übel. Seine Werte sind zwar verachtenswert, aber weniger zerstörerisch, weniger grausam als die des Islam.« Nach solchen Äußerungen hätte es Houellebecq eigentlich nicht wundern müssen, dass er vor Gericht zitiert wurde. Zunächst versuchte er sich herauszureden. Seine Interview-Äußerungen - die durch einen Tonbandmitschnitt zweifelsfrei belegt sind - seien verdreht und zugespitzt so wiedergegeben worden, dass ein Nebenaspekt seines Romans plötzlich übergroße Bedeutung gewann. Außerdem hätte das Interview während eines Essens stattgefunden, bei dem er reichlich Wein getrunken habe, streuten Freunde. Doch den Kern seiner Aussagen wollte Houellebecq weder in den Wochen danach noch jetzt vor Gericht zurücknehmen, nur in einen anderen Zusammenhang stellen. Er sei Atheist und verachte alle monotheistischen Religionen, auch die katholische. Sie seien allesamt »dumm« und »kriegerisch« und die Bücher, auf die sich der Glaube berufe - ob Koran oder Bibel - seien »ohne literarischen Wert«, urteilte der Angeklagte arrogant. »Ich verachte den Islam als Religion, aber deshalb verachte ich doch nicht die Menschen, die an den Islam glauben«, versicherte er den Richtern. Er wolle auch niemanden in seinem Sinn beeinflussen oder gar aufhetzen und nehme für sich nur das Recht der freien Meinungsäußerung in Anspruch. Das war auch die Linie seiner Verteidiger und der von diesen vorgeladenen Leumundszeugen, allen voran der Romancier Philippe Sollers, der keine Gelegenheit auslässt, sich medienwirksam in Szene zu setzen. Régine Desforges, die sich vor vielen Jahren vor demselben Gericht wegen eines erotischen Romans des Vorwurfs der »Unzucht« erwehren musste, hat unter Schriftstellerkollegen eine Petition zugunsten von Houellebecq zirkulieren lassen. Man sei besorgt über eine mögliche Wiedereinführung des Delikts der Gotteslästerung, heißt es darin. Den Angeklagten vergleichen sie mit verfolgten Autoren wie Montaigne, Pascal, Voltaire oder Lévi-Strauss. »Eine Meinung über die Religionen zu haben, eine der anderen vorzuziehen oder alle abzulehnen fällt unter das Recht der freien Meinungsäußerung«, heißt es weiter in der Petition. Eine besondere Note bekam der Prozess noch durch einen Zwischenfall, als Mitglieder der rechtsextremen Partei MNR Flugblätter ins Publikum warfen, auf denen Losungen zu lesen waren wie »Nein zur Zensur durch die Imame!« und »Gegen das Diktat einer Religion, die den französischen Traditionen und der europäischen Zivilisation fremd ist!« Nachdem die Ruhe wiederhergestellt war, fasste der Rektor der Moschee von Paris, Chemseddine Hafiz, im Namen der Kläger ihre Vorwürfe zusammen: »Die Freiheit der Meinungsäußerung endet da, wo sie verletzen kann. Meine Glaubensgemeinschaft wurde erniedrigt, meine Religion beleidigt. Ich fordere Gerechtigkeit!« Die Staatsanwältin Béatrice Angelleli sah das nüchterner: »Wenn man eine Meinung über den Islam äußert, ist das nicht automatisch ein Angriff auf die islamischen Gläubigen.« Es sei nicht Sache der Justiz, auszudeuten, was vielleicht zwischen den Zeilen steht. »Vielleicht ist Houellebecq ein Provokateur«, meinte sie, »doch wir sind nicht hier, um Moral zu predigen, sondern um über die juristische Strafwürdigkeit der Äußerungen zu urteilen.« Sie beantragte Freispruch. Das Urteil wird am 22.Oktober verkündet, doch viele erwarten, dass sich das Gericht der...

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