Martin Walser: Plädoyer für Europa
Wenn einer Hölderlin zitiert, tut er Gutes. In einem Text für die FAZ, dieser Tage, zitiert Martin Walser ausgiebig Hölderlin. Ihm ist er ein Gewährsmann, vor lauter Sparkassenbeamten-Eifer nicht den Gedanken zu vergessen, der hinter der Idee von Europa steckt. Das muss möglich sein: in Konflikten stecken und doch großzügig bleiben - im Erfühlen einer Nähe, die historische Größe hat, gerade weil sie den Charakter einer Prüfung besitzt. »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.« Hölderlin.
Walser schreibt gegen die »eurolose Währungsvielfalt«. Ein europäisches Land, das sich vom Euro trennen soll, das »zurückstürzen soll ins Devisenzeitalter, ein Spielball jeder Spekulation« - dies ist ihm »ein Horrorszenario«.
Der Schriftsteller weist zum Beispiel der deutschen Literatur dort größte Lebendigkeit zu, wo sie europäisch sei. »Deutsch ist sie immer erst nachher, nachdem sie fremdgegangen ist.« Flaubert, Strindberg, Proust: Lehrer fürs Empfindungsrisiko hierzulande, für die eigene Leidenserlaubnis, fürs Zaubererlebnis beschworener Kindheit. Gelenkigkeit erhielt diese deutsche Sprache durch Anakreon, Alkaios, Asklepiades und Sappho. Von solchen Erinnerungsmomenten herüber zur sozialpolitischen Realität: Etwa: »Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei uns bei acht Prozent, in Südländern bei bis zu 50 Prozent. Was haben wir in 1000 Jahren alles probiert und gelernt. Und sind jetzt imstande, genau da zu helfen, wo es anderen fehlt.«
Im Streit um die richtige Zukunft hofft Walser auf jenen polit-ökonomischen Experten, »der von Fall zu Fall reagiert, aber immer in Richtung Europa, nicht zurück«. Er hofft bei all denen, die in Gremien, in Räten, in Kommissionen, in Troikas unterwegs und aktiv und suchend sind, auf den »Vorsichtigen, aber Unbeirrbaren«. Es wäre ein Unglück, setzten sich in der gegenwärtigen Lage die Verhinderer durch. Europa sei eine »Lerngemeinschaft«, kein »Elite-Club und kein von einer Superbehörde regierter Staatenbund«.
Ein Text mit einem Hauptwort: Beistand. Und Zustimmung für Paul Kirchhof, der vor maßlosem Gebrauch des Wortes »Krise« warnte. Solch Gebrauch befördert Panik. Was mit Euro und Europa geschieht, ist für Kirchhof »nicht Unglück, sondern Ausdruck eines Übergangs«. Schon fühlt sich die Lage lösbarer an. Der Euro, sagt Walser, sei überfällig gewesen, »mir imponiert keiner, der mir nun vorrechnen will, dass wir uns die Union nicht leisten können«. Solidarität? »Für Ökonomen ein Fremdwort«. Wie uneuropäisch!
Ein Text, in dem Fiskalunion, Schuldenlast, Finanzausgleich vorkommen, aber da auch Nietzsche, Klopstock und Goethe vorkommen, entsteht Balance, die Geist hat. Damit denkt sich Walser protestierend einem Zustand entgegen, in dem »der als Sachverstand kostümierte Kleinmut das Sagen« hat. »Freiwilligkeit und Selbstbestimmung« bei einer unantastbaren Herzensunion, das sei doch das, was Europa der Welt zu bieten habe.
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