In Jerusalem ins Koma geprügelt
Jugendliche Anhänger der rassistischen Kach-Bewegung machen Jagd auf Araber
Dieser Skandal dauerte nur wenige Minuten: Die Polizei habe nicht einmal eine Anzeige aufgenommen, sagte der fassungslose, aufgebrachte junge Mann, die Spuren der Nacht im Gesicht, in die Kameras der israelischen Morgenmagazine. Und noch während er das sagte, klingelte sein Telefon. Am Apparat: Tel Avivs Polizeichef Aharon Aksol persönlich. Er habe dem Jugendlichen gesagt, dass die »gesamte Polizei« den Angriff auf ihn und seine Freunde »sehr, sehr ernst« nehmen und sofort alles weitere veranlassen werde, fasste ein Polizeisprecher den Inhalt der medienwirksamen Konversation zusammen: »Die Beamten haben die Verletzungen gesehen; mehr brauchten sie erst einmal nicht zu wissen. Sie haben die Personalien aufgenommen und die Betroffenen dann sofort zum Arzt geschickt.«
Was war passiert? Am Mittwochabend wurde drei Araber aus Ost-Jerusalem nach einem Tag am Strand von einer Gruppe von »mindestens fünf männlichen Heranwachsenden«, so der Polizeibericht, angegriffen. Die drei erlitten Knochenbrüche und Prellungen. Normalerweise hätte es danach Stunden gedauert, eine Anzeige aufzunehmen, und wahrscheinlich hätten die Betroffenen Wochen auf ein Ermittlungsergebnis warten müssen.
Doch dieser Angriff war der jüngste in einer Serie von Übergriffen, die von der Polizei als »rassistisch motiviert« eingestuft werden: Dutzende Male wurden in den vergangenen Monaten Flüchtlinge aus Afrika angegriffen und von ihnen frequentierte Lokale in Brand gesteckt; seit gut zwei Wochen sind nun Araber zum Ziel geworden. Zunächst wurde ein palästinensisches Sammeltaxi im Westjordanland südlich von Jerusalem mit einem Molotow-Cocktail beworfen; ein Insasse wurde schwer verletzt. Am vergangenen Wochenende prügelte dann eine Gruppe von Minderjährigen mitten im Jerusalemer Stadtzentrum einen arabischen Jugendlichen ins Koma - »aus heiterem Himmel«, sagen die Ermittler.
Sie sehen sich nun einer schwierigen Aufgabe gegenüber. Die Regierung hat die Übergriffe zur Chefsache erklärt und fordert schnelle Verhaftungserfolge, die es auch tatsächlich gibt: Dank der für solche Fälle ungewohnten Personalausstattung wurden die Täter nach jedem Übergriff innerhalb von Stunden identifiziert und festgenommen.
Ein Ende der Serie sei dennoch nicht in Sicht, warnt die Polizei: Denn die Täter sind stets Gruppen von Jugendlichen, die isoliert zu handeln scheinen. »Wir haben mittlerweile handfeste Hinweise darauf, dass es sich bei dieser Serie nicht um einen Zufall handelt«, beschreibt ein Mitarbeiter der Polizei die Situation. So seien bei einer Reihe von Verdächtigen Flugblätter der Kach-Bewegung gefunden worden, auf denen zu Gewalt gegen Araber aufgerufen und dabei auch eine »Rechtfertigung« dafür geliefert wird. Andere Verdächtige hätten bei ihrer Befragung Äußerungen des 1990 ermordeten Rabbiners Meir Kahane als Rechtfertigung zitiert. Kahane war Gründer der Kach (»Nur so!), die in Israel als terroristische Gruppierung verboten ist. 1994 erschoss eines ihrer Mitglieder, Baruch Goldstein, in der Hebroner Machpela-Höhle, der Grabstätte Abrahams, Isaaks und Jakobs, 29 muslimische Palästinenser.
Anzeichen dafür, dass die selbst wohl nur wenige Dutzend Mitglieder zählende Gruppe sich zurückmeldet, gibt es seit dem vergangenen Jahr: Damals beklagten sich die Organisatoren der Sozialproteste darüber, dass im Umfeld von Demonstrationen Kach-Flugblätter aufgetaucht waren, auf denen soziale Forderungen mit rassistischen Aussagen verbunden wurden.
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