Auf in die Schreiheit!
Vor 100 Jahren wurde er ausgesetzt: Tarzan
Wenn die literarische Hochform erschlafft, greifen sie an: die Wegelagerer des Trivialen. Die Romantik etwa. Sie ermüdete, und der Schauerroman saugte im Handumdrehen seinen einträglichen Nektar aus der Erschöpften. Und ohne den poetischen Realismus wäre Courths-Mahler undenkbar gewesen. Der hohe Maßstab reibt sich allemal auf - umgehend übernimmt die Mechanik der Massenkultur und zeigt der Welt, was dauerhafte Wirkung ist.
Seinen Tarzan ersann Edgar R. Burroughs (1875-1951) als pädagogisches Experiment, aber reich wurde der Verkäufer von Bleistiftspitzern durch den Mut, das eigene Niveau konsequent zu unterschreiten, und die Beihilfe vieler Anderer. Alles begann mit einer Story für ein Chicago-Magazin; ihr Sinn bestand im Nachdenken darüber, was mit einem Kind in absolut fremder Welt geschieht, wie dort die Naturanlagen und der Sozialkontext in Streit treten. Ein Weißer im Urwald. Weißhaut, das hieß bei den Affen, die Burroughs zu unerwarteten Erziehungsträgern erhob: Tarzan.
Er schrieb fast 30 Tarzan-Romane, verkaufte über 100 Millionen Exemplare, machte gigantische Film- und Comic- und Souvenirgeschäfte mit dem eingetragenen Warenzeichen. Die Botschaft dieser Ware: Der Glaube ans Gute überspringt die Grenzen des real Wahrscheinlichen. Mag der ursprüngliche Tarzan viel gehabt haben von Kiplings und Rousseaus »edlen Wilden« der Aufklärung, ja sogar von Romulus und Remus, den Adoptivkindern der römischen Wölfin - aller Reflexion beraubt, gnadenlos archetypisiert, auf den Wesenszug des muskulös Handelnden beschränkt, siegte jene erwähnte Trivialität und trieb die Gestalt ins Öde, Lächerliche.
Vierzehn Darsteller schwangen sich seit 1918 in über 100 Filmen an der Liane über die Leinwand; Schwimmer Johnny Weissmüller, neben Lex Barker der bekannteste Tarzan-Spieler, trieb die Figur am beschämendsten ins Klischee des Halbaffen, dem Stammeln als Sprechen angerechnet werden sollte.
Tarzan und seine Gefährtin Jane verschlug es sogar in den Zweiten Weltkrieg, er kämpfte gegen die Nazis. Der letzte Kino-Tarzan, Mike Henry, wurde vom obligaten Begleitaffen Cheetah entstellend ins Kinn gebissen, aber das Ende der Adaptionen bedeutete dies nicht. Die Agentur epd vermeldet: »Der Mythos zieht noch immer: Derzeit finden in den Bavaria-Filmstudios Dreharbeiten für den neuesten Tarzan-Film mit Kellan Lutz statt: in 3-D, ein Zeichentrickfilm, dessen Figuren in der sogenannten performance-capture-Technik von Menschen animiert werden. »
Noch einmal zur Trivialität. Sie kommt ebenfalls absehbar an den Punkt ihrer funktionalen Ermattung - irgendwann also, wenn auch das letzte Klischee in Serie ging, kann nichts mehr niveauloser werden. Das genau ist der Auftrittspunkt für Epigonen der Sonderklasse: für jene seltsamen Ausrufer, die auf öffentlichen Plätzen, Parlamente genannt, ihre Lautmalerei betreiben. Handwerker des unaufhörlichen Mundwerks.
Und es besteht - wie ausgewählte Fotos beweisen - eine zweifelsfreie Erbfolge: Tarzans legendärer Schrei durch den Dschungel, halb Sehnsuchtskoller, halb Auftrumpfungston, ging nahtlos ein ins Gestentheater der Belehrungs- und Bekehrungsclowns, die sich vorwiegend in großen Ballungsräumen aufhalten. Wo nichts grünt, auch wenn sie sich grün nennen; wo es auch bloß grau zukunftet, obwohl sie morgenrot sind; wo es farblos bleibt, auch wenn sie Gelb, Blau und Schwarz zusammenrühren. Und ging es Tarzan noch um den ganzen Baum, so sind diese Leute nur mit dem Sägen an jenem Ast beschäftigt, darauf wir sitzen.
Tarzans durchdringender Schrei bekräftigte wenigstens noch eine Stärke, die das Dämonische einer Urwaldgegend aufwärmte - die Aufrufer modernen Zuschnitts schreien bloß noch aufdringlich. Und der beschallte Raum verwandelt sich in einen dämonisch anmutenden Dschungel von Plärrern - die sich hartnäckig für öffentliche Klang-Ereignisse halten. Die sich also für die Autosuggestion, sie ergäben durch Phrasenvielfalt einen körperlichen wie geistigen Sinn, vor aller Öffentlichkeit zum Affen machen. Indem sie andauernd gegen eine grundsätzliche Lehre des Lebens verstoßen: Man kann eine Wahrheit nicht in derselben Geschwindigkeit denken wie herunterhaspeln.
Auf in die Schreiheit!
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